PANDORA, ein deutscher Rasierhobel aus Stahl aus den 1940er Jahren

Begonnen von Standlinie, 22. Januar 2022, 17:11:02

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

0 Mitglieder und 2 Gäste betrachten dieses Thema.

Standlinie

PANDORA, ein deutscher Rasierhobel aus Stahl, hergestellt in den 40er Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts


Inhaltsverzeichnis
01.  Zusammenfassung
02.  Ein Zufallsfund
03.  Reinigung und erste Erkenntnisse
04.  Bilder des Pandora-Rasierhobels
05.  Weitere Erkenntnisse
      5.1  Flugrost und Magnet zeigen, der Rasierhobelkopf besteht aus Stahl
      5.2  Verwendete Werkstoffe für Rasierhobel bis 1945
      5.3  Der Krieg in Deutschland, Einfluss und Folgen bei industriellen Produktionsprozessen
06.  Die Namensfindung
07.  Verarbeitungsmängel und daraus ableitbare Schlussfolgerungen
08.  Zeitgenössische Hobelgriffe für den Pandora-Rasierhobel
09.  Rasureigenschaften
10.  Anhang
      10.1  Zusammenstellung der technischen Rasierhobeldaten
      10.2  Flugrostspuren
      10.3  Verwendete Werkstoffe für deutsche Rasierhobel bis etwa 1945


1.  Zusammenfassung
Der hier vorgestellte dreiteilige Rasierhobel mit geschlossenen Schaumkanten kam in einem Konvolut aus Frankreich nach Deutschland. Flugrostspuren und die Reaktion auf einen Magneten zeigten, dass die Kopf- und Grundplatte des Hobels aus Stahl bestehen. Die Kennzeichnung D.R.G.M. identifiziert ihn als einen deutschen Rasierhobel, der vor 1945 hergestellt wurde. Recherchen im Internet führten zur Identifizierung des Namens Pandora.

Ein für die Zeit bis 1945 hergestellter Rasierhobel aus Stahl ist in Deutschland absolut ungewöhnlich, da bis dahin alle Rasierhobel entweder aus Messing, aus Zinkdruckguss oder aus einem Kunststoff wie Bakelit hergestellt wurden. Der Pandora-Rasierhobel ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit der erste und wahrscheinlich auch der einzige Rasierhobel, der bis 1945 in Deutschland aus dem Werkstoff Stahl hergestellt wurde.

Die Verwendung von Stahl anstelle von Messing, Zinkdruckguss und Bakelit für die Herstellung eines Rasierhobels, der einfache Fertigungsablauf durch Ausstanzen aus einem Stahlblech und die recht grobe Verarbeitung weisen auf eine mögliche und während der Kriegszeiten stattgefundene Produktion in Solingen hin. Die Herstellung hätte dann zwischen 1943 und 1945 stattgefunden und würde damit eine sehr frühe Stahlhobelproduktion in Deutschland bezeugen, die früher stattfand als es bisher angenommen wurde.

Die Rasureigenschaften des Pandora-Rasierhobels sind tadellos und lassen keine Wünsche offen. Einem Vergleich mit aktuellen Rasierhobeln und mit Rasierhobeln aus Edelstahl hält er zu jeder Zeit stand.


2.  Ein Zufallsfund
Wer auf Onlineplattformen schon des öfteren Konvolute ersteigert hat, sollte sich eigentlich nicht darüber wundern, was er manchmal als so genannten ,,Beifang" mit ersteigert. Denn manche Verkäufer legen ihren Konvoluten zusätzliche Dinge bei, um darüber ihre Ecken zu räumen. Und nicht selten erlebt man dann, dass die einzelnen Artikel vor ihrer Versendung nicht immer vorgereinigt wurden – wenn überhaupt.

Den Rasierhobel, den ich hier vorstellen möchte, habe ich im Jahr 2017 in der französischen Bucht über ein Konvolut zusammen mit anderen gebrauchten Rasierutensilien erworben. Der Rasierhobel war – wie ich es schon erwähnt hatte - dem Konvolut beigefügt und somit ein unerwarteter Zufallsfund. Der Verkäufer hatte zu diesem ,,Beifang" auch keine weiteren Angaben genannt und der äußere Zustand zeigte mir deutlich, dass dieser Hobel in (s)einem früheren Leben bessere Tage erlebt haben musste. Weil ich zunächst keine Verwendung für ihn fand, legte ich ihn deshalb erst einmal in meine Rasierhobelersatzteilkiste.


3.  Reinigung und erste Erkenntnisse
Im Frühjahr 2021 fiel mir rein zufällig bei der Durchsicht meiner Rasierhobelersatzteilkiste genau dieser Rasierhobel wieder in die Hände, so dass ich ihn überhaupt erst einmal genauer betrachtet habe. Der Hobel war dreiteilig, er hatte gerade Schaumkanten und sah äußerlich reichlich abgekommen aus. Ein undefinierbarer und gräulich schimmernder Überzug – es könnten alte Seifen- und Schaumreste gewesen sein, die wahrscheinlich mit Hautschuppen und Überresten von Bartstoppeln und zusätzlichen kalkartigen Bestandteilen vermischt waren – hatte sich an vielen Stellen und Ecken festgesetzt, auf der Grundplatte des Hobelkopfes befand sich an einigen Stellen sogar bräunlich schimmernder Flugrost (ja, richtig gelesen!), der Hobelgriff aus Bakelit bestand nur noch aus einem abgebrochenen Reststück mit einer Gewindehülse. Es waren keinerlei Kennzeichnungen sichtbar, also nur ein typischer alter No-Name-Hobel, dessen Einzelteile vielleicht noch als Ersatzteile verwendbar sein würden. Den ursprünglichen Zustand habe ich leider nicht mit Fotos festgehalten und kann ihn hier nur beschreiben.

Die Reinigung erfolgte mit konventionellen Mitteln, hier mit Corega-Tabs und mit einem Ultraschallbad. Damit ließen sich die vorhandenen Ablagerungen an der Kopf- und Grundplatte weitestgehend entfernen. Den verbliebenen Flugrost auf der Grundplatte und was sich sonst noch nicht abgelöst hatte, habe ich mittels einer Drahtbürste mechanisch abgetragen. Danach wurde auf der Grundplatte eine Einstanzung sichtbar: D.R.G.M. oder ,,Deutsches Reich Gebrauchsmuster" (siehe Abbildung 1). Der unbekannte Rasierhobel stammt also aus Deutschland. Die Kopfplatte wies keine Bezeichnungen auf.




Abbildung 1:  Ansicht der gereinigten Grundplatte des unbekannten Rasierhobels mit der Einstanzung D.R.G.M. auf der Oberseite.


4.  Bilder des Pandora-Rasierhobels
In der Überschrift dieses Abschnittes nenne ich vorab den späteren Namen für meinen Rasierhobel. Wie ich zu dem Namen gekommen bin beschreibe ich im Kapitel 6. Jetzt folgen erst einmal einige Bilder, die zeigen, wie mein alter Rasierhobel aktuell aussieht.

Nach der vollständigen Reinigung habe ich meinen neuen alten deutschen Rasierhobel mit einem zum Gesamtbild passenden Griff ausgestattet (irgendein einfacher Stahlgriff), um mich damit überhaupt rasieren zu können. Und der Hobel hat mich diesbezüglich auch nicht enttäuscht, im Gegenteil, er rasierte ausgesprochen gut und vor allem wendig, was unter anderem auch an seiner ausgewogenen Lage in der Hand und an seiner Führigkeit gelegen hat. Mein neuer alter Hobel ist dann – von wenigen Ausnahmen abgesehen – zu meinem fast täglichen Nassrasierer im letzten Jahr geworden. Die Rasurergebnisse haben mich immer wieder überzeugt. Auf die Rasureigenschaften dieses Rasierhobels gehe ich im Kapitel 9 detaillierter ein.




Abbildung 2:  Ansicht des Pandora schräg von oben.




Abbildung 3:  Ansicht des Pandora schräg von vorne.




Abbildung 4:  Ansicht des Pandora schräg von hinten.




Abbildung 5:  Ansicht des Pandora von oben.




Abbildung 6:  Eine weitere Ansicht des Pandora von oben.




Abbildung 7:  Ansicht des Pandora schräg von hinten.




Abbildung 8:  Ansicht der Unterseite der Hobelgrundplatte mit vielen durch Rost hervorgerufenen Flugrostnarben und ovalen Zapfenlöchern.




Abbildung 9:  In dieser Abbildung sind sichtbare Verarbeitungsspuren an der Kopfplattenseite deutlich zu erkennen.




Abbildung 10:  In dieser Abbildung sind die großen Toleranzen bei den Zapfenlöchern in der Grundplatte deutlich zu erkennen.




Abbildung 11:  An der Kopfplatte sind weitere Verarbeitungsspuren der ursprünglichen Herstellung (Stanzen) noch deutlich zu sehen.




Abbildung 12:  Die abgebildete Grundplattenunterseite zeigt relativ große Toleranzen bei den Zapfenlöchern.


5.  Weitere Erkenntnisse
Durch die Reinigung wurde die Prägung oder Einstanzung D.R.G.M. auf der Grundplattenoberseite wieder sichtbar. Das Buchstabenkürzel D.R.G.M. steht hier für ,,Deutsches Reich Gebrauchsmuster". Diese Bezeichnung gibt nicht nur an, dass der damit gekennzeichnete Gegenstand in Deutschland hergestellt wurde, sondern lässt auch eine vage Festlegung der Herstellungszeit zu. Die Herstellung hätte danach zwischen 1900 und 1945 stattgefunden, eine genauere zeitliche Einstufung war an dieser Stelle nicht möglich.


5.1  Flugrost und Magnet zeigen, der Rasierhobelkopf besteht aus Stahl
Die vorhandenen Flugrostspuren auf der Grundplatte stellen eine außergewöhnliche Besonderheit dar. Rost entsteht normalerweise nur in Verbindung mit eisenhaltigen Stoffgefügen.
Rostspuren entstehen zum Beispiel dann, wenn eine normale Rasierklinge nach der Rasur über längere Zeit in einem feuchten und ungereinigten Zustand in dem zugeschraubten Hobelkopf verbleibt. An der Rasierklinge setzt sehr schnell ein Korrosionsprozess ein und die daraus entstehenden Korrosions- oder Rostspuren setzen sich in der Berührungszone zwischen der Rasierklinge und den Zentrierzapfen der Kopfplatte ab und sind dort an bräunlichen oder dunkel aussehenden Ablagerungen erkennbar. Dies traf bei den beiden Platten des unbekannten Rasierhobels allerdings nicht zu. Dann gibt es auch noch andere Rostspuren, hier einfachen Rost als Ergebnis der Oxidation von Eisen oder Stahl. Und Rost erzeugt in der Regel zu Beginn erst einmal sehr kleine Rostlöcher, deren Bildung sich als Flugrost andeutet. Mit einem Magneten kann man schnell nachprüfen, ob die Grundplatte tatsächlich aus einem eisenhaltigen Werkstoff besteht, da Eisen immer magnetisch reagiert. Und der Magnet zeigte mir dann auch, dass nicht nur die Grundplatte sondern auch die Kopfplatte magnetisch reagiert haben. Beide Platten bestehen also aus Stahl, wobei die vorhandenen Flugrostspuren auf der Grundplatte für eine geringe Stahlqualität sprechen. Für die Kopfplatte galt dies nicht, denn auf ihr hatte sich kein Flugrost gebildet. Die Stahlqualität musste bei dieser Platte höher liegen. Ohne sichtbaren Flugrost wäre ich sehr wahrscheinlich nicht auf die Idee gekommen, diesen Rasierhobel auf seine magnetischen Eigenschaften zu untersuchen.


5.2  Verwendete Werkstoffe für Rasierhobel bis 1945
Der ursprünglich vorhandene Flugrost und die magnetischen Eigenschaften der Kopf- und Grundplatte meines Rasierhobels zeigten mir, dass dieser mir bislang unbekannte Rasierhobel ein außergewöhnlicher Vertreter seiner Zunft sein musste, denn bisher waren mir keine deutschen Rasierhobel bekannt geworden, die zwischen 1900 und 1945 aus dem Werkstoff Stahl hergestellt worden sind. Normale Rasierhobel aus dieser Zeitepoche bestanden entweder aus Messing, aus Zinkdruckguss oder aus einem Kunststoff wie zum Beispiel Bakelit. Rasierhobel aus dem Werkstoff Stahl wurden nach meinem bisherigen Kenntnisstand, den ich über viele Jahre über Auktionen, Literaturrecherchen und über Fachgespräche erworben habe, erst Jahrzehnte nach 1945 hergestellt (z.B. Lux, Pils, Ikon, Le Figaro, u.a.). Das durch die Kennzeichnung D.R.G.M. bisher noch sehr ungenau eingestufte Zeitfenster passte also nicht zu diesem Rasierhobel. Sollte diese Kennzeichnung aber doch richtig sein, würden sich daraus zwei Schlussfolgerungen ableiten lassen:
Erstens: Es wurden in Deutschland schon viel früher Rasierhobel aus Stahl hergestellt als bislang angenommen und nicht erst Jahrzehnte später nach 1945.
Zweitens: Da es an keiner mir bekannten Stelle Informationen zu einer in Deutschland bis 1945 erfolgten Herstellung eines Rasierhobels aus Stahl gibt, kann eine Herstellung nur in einem ganz engen Zeitfenster bis 1945 stattgefunden haben, also während der letzten Kriegsjahre. Das würde dann auch die bislang fehlenden Informationen erklären. Konnte das überhaupt stimmen oder liegt hier vielleicht ein Trugschluss vor?


5.3  Der Krieg in Deutschland, Einfluss und Folgen bei industriellen Produktionsprozessen
Die eben beschriebenen Sachverhalte veranlassten mich, zu recherchieren, ob und inwieweit die Kriegsereignisse in Deutschland möglicherweise einen Einfluss auf die Rasierhobelproduktion genommen haben könnten. Ich fand dazu allerdings keine belastbaren Literaturhinweise und sonstige Informationen aus dem Internet sondern nur indirekte Hinweise, dass dieser stählerne Rasierhobel mit hoher Wahrscheinlichkeit während des letzten Krieges (zwischen 1939 und 1945) hergestellt worden ist. Die Auswertung der indirekten Hinweise führte zu einer nachvollziehbaren Lösung.

Im Verlauf des letzten Krieges wurden in Deutschland viele zivile Einrichtungen, Produktionsstätten aller Art und die Infrastruktur systematisch zerstört. Bestimmte Rohstoffe waren nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt verfügbar (z.B. Buntmetalle). Viele bewährte Produktionsabläufe fielen kriegsbedingt aus oder wurden im günstigsten Fall nur zeitweilig unterbrochen.

Die Kriegswirtschaft ersetzte den Mangel an Rohstoffen durch so genannte Ersatzstoffe. Für viele Buntmetalle wurde Stahl als Ersatzstoff eingesetzt, der sich trotz der Flächenbombardements auf das Ruhrgebiet und auf das Saarland immer noch herstellen ließ und relativ einfach verarbeitet werden konnte. Stahl ersetzte Bronze, Messing und Rotguss bei der Herstellung von Armaturen und Ventilen (beim Lokomotivbau). Stahl ersetzte Messing bei der Produktion von Patronenhülsen und Kartuschen. Aus Stahl wurden Zünder hergestellt. Diese Beispiele sollten genügen.

Kriegsbedingt ausgefallene zentrale Fertigungsbetriebe wurden durch viele dezentral gelegene kleinere und einfacher arbeitende Betriebe ersetzt und bisher gewohnte Produktionsabläufe nicht nur drastisch reduziert sondern zusätzlich auch vereinfacht (z.B. Kriegs- oder Einheitslokomotiven; bei der Produktion des  Kübelwagens entfiel 1945 der elektrische Anlasser; einheitliche Antriebsmotore bei Panzern, Holzgasvergaser, synthetisches Benzin, u.v.m.). Eine Fließbandfertigung konnte gegen Ende des Krieges oft nur noch durch händische Arbeit ersetzt werden.

In dem Buch ,,Solingen. Ein Streifzug durch fünf Jahrhunderte der Klingenherstellung. 1993" fand ich einen Hinweis, dass zwei Bombenangriffe auf die Stadt Solingen die zentral gelegenen Fertigungsstätten der Schneidwarenindustrie zerstört haben. Dies beeinflusste aber die Herstellung gewisser Schneidwaren nur wenig, da diese in vielen dezentral gelegenen kleinen Produktionsstätten (Familienbetriebe, Kotten) hergestellt wurden. Das dürfte sich im Wesentlichen auf die Herstellung von Rasiermessern, Messern und Scheren bezogen haben. Die Herstellung von Rasierhobeln wird nicht weiter erwähnt, es findet sich nur der Hinweis, dass sich die Schneidwarenindustrie erst ab 1948 wieder erholt hatte. Diese Hinweise lassen gewisse Schlussfolgerungen zu. Die Herstellung von Rasierhobeln aus den Werkstoffen Messing, Zinkdruckguss, Bakelit und sonstigen Kunststoffen umfasste viele einzelne Arbeitsschritte. Für die Herstellung waren Presswerkzeuge, Backöfen, Galvanikeinrichtungen und auch noch andere maschinelle Einrichtungen erforderlich, die eher von Groß- als von dezentral gelegenen Klein- und Kleinstbetrieben vorgehalten und betrieben wurden. Wenn solch ein Großbetrieb durch einen Bombenangriff zerstört wurde und dadurch für längere Zeit ausfiel, konnten keine herkömmlichen Rasierhobel mehr hergestellt werden. Und das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu geführt haben, dass es danach in Solingen eine Art von kriegsbedingter Ersatzproduktion gegeben hat, für die mein stählerner Rasierhobel ein Zeuge ist. Stahl ersetzt hier Messing, Zinkdruckguss und Bakelit bei der Rasierhobelproduktion, da die Herstellung der einzelnen Komponenten eines einfachen Rasierhobels aus Stahl viel weniger Arbeitsschritte erforderlich machte. Im Wesentlichen wurden diese Einzelteile nur noch aus einem Stahlblech ausgestanzt und danach mehr oder weniger gründlich nachbearbeitet. Eine Fertigung könnte so mit sehr geringem maschinellen Aufwand und unter Einsatz von Handarbeit in dezentral gelegenen Klein- oder Kleinstbetrieben stattgefunden haben, zum Beispiel auch in den verschiedenen Kotten, die es nachweislich in größerer Zahl in und um Solingen gegeben hat. Leider existieren keine Berichte, die diese Annahme bestätigen können.

Diese durch die Kriegsereignisse tatsächlich stattgefundenen Zerstörungen in Solingen führten zu meinen Schlussfolgerungen, dass eine Ersatzproduktion möglich gewesen sein könnte. Im Kapitel 7 gehe ich auf weitere Sachverhalte ein, die die These einer kriegsbedingten Ersatzproduktion stützen. Die Details dieses Kapitels sprechen dafür, dass es zwischen 1943 und 1945 in Deutschland eine frühe und bislang nicht bekannte Herstellung eines Rasierhobels aus Stahl gegeben hat, hier die des Pandora-Rasierhobels oder zumindest einzelner Komponenten davon.


6.  Die Namensfindung
Bei alten Rasierhobeln suchen Sammler eigentlich immer nach Hinweisen zu einem Hersteller und zu einer möglichen Hobelbezeichnung. Dies trifft insbesondere auch für diesen außergewöhnlichen Rasierhobel zu, zumal er aus Stahl besteht. Und Stahl ist ein Hobelwerkstoff, aus dem eigentlich erst weit nach dem zweiten Weltkrieg Rasierhobel hergestellt wurden. Wo sind möglicherweise weitere Informationen zu diesem Rasierhobel zu finden? Meine Recherchen hierzu waren zunächst erfolglos. Nirgends fand ich weiterführende Informationen, auch nicht in den Weiten des WWW. Die Suchmaschine Google lies mich dann doch noch einen einzigen Hinweis zu meinem Rasierhobel finden. In der deutschen Bucht wurde 2021 von dem Verkäufer Lionsweb-2010 ein Rasierhobel mit einer gleich aussehenden Grundplatte angeboten. Die oval aussehenden Zentrierzapfenlöcher, die Prägung D.R.G.M. und die gleich aussehenden Riffelungen auf den Schaumleisten führten zu dieser Erkenntnis. Die Prägung war an derjenigen Stelle eingestanzt, wo auch meine Grundplatte gekennzeichnet war. Auf der Unterseite der Grundplatte befand sich auch noch ein Hobelname, hier der Name Pandora. Und mit diesem Namen wurde aus meinem bisher unbekannten Rasierhobel ein Rasierhobel mit eigenständigem Namen. Ich besaß also einen Pandora-Rasierhobel, wenn auch ohne eine Namensbezeichnung. In den nachfolgenden Abbildungen habe ich diese Kennzeichnungen festgehalten. Für die Veröffentlichung dieser Bilder in unserem Forum hat mir der Verkäufer Lionsweb-2010 freundlicherweise sein Einverständnis erteilt.




Abbildung 13:  Ansicht der Grundplattenoberseite mit ihren ovalen Zentrierzapfenlöchern und der Prägung D.R.G.M. des Pandora-Rasierhobels von Lionsweb-2010.




Abbildung 14:  Ansicht der Grundplattenunterseite mit der Namensprägung Pandora des Rasierhobels von Lionsweb-2010.


Der Verkäufer Lionsweb-2010 hat seinen Rasierhobel mit einer Rasuranleitung angeboten, die von einer Druckerei in Solingen gedruckt wurde. Dieser zusätzliche Hinweis mag reiner Zufall sein, denn bestimmte Texte konnten auch von anderen Druckereien gedruckt werden. Dafür brauche ich keinen Standort in der deutschen Klingenstadt. Ich halte es aber für durchaus denkbar, dass der Pandora-Rasierhobel in Solingen hergestellt wurde. Solingen bildete das Zentrum der deutschen Schneidwarenindustrie. Das Know-How und die entsprechende Umsetzung werden eher hier als an einem ganz anderen Ort stattgefunden haben.


7.  Verarbeitungsmängel und daraus ableitbare Schlussfolgerungen
Die Grundplatte meines Pandora-Rasierhobels ist ein einfach ausgestanztes Blechprägeteil. Die Platte ist mit zwei geschlossenen Schaumkanten und jeweils dazugehörigem Rasierschaumschlitz ausgestattet. Die Schaumkanten tragen an ihrer Oberseite ein Wellenmuster. Bei genauerer Betrachtung (siehe hierzu die Abbildungen 10 und 12) sieht man noch einige Bearbeitungsspuren von der Blechprägung her auf der Plattenunterseite im Bereich der Rasierschaumschlitze. Die Löcher zur Aufnahme der Zentrierzapfen der Kopfplatte ähneln mit ihrer Ovalform eher einem Langloch als der sonst allgemein üblichen Normalform des Rundloches bei anderen deutschen Rasierhobeln.

Die Kopfplatte wurde aus einem dickeren Stahlblech ausgestanzt und funktionsgerecht geformt. Überstehende Grate wurden hierbei nicht oder besser nur oberflächlich weggeschliffen. Es sind so noch deutliche Spuren von der einstigen Herstellung sichtbar, unter anderem Spuren einer zerspanenden Bearbeitung an den beiden Zentrierzapfen und am mittigen Gewindezapfen. Dieser Gewindezapfen besteht allerdings im Gegensatz zum Stahl der Kopfplatte aus Messing.

Das Vorhandensein der deutlich sichtbaren groben Verarbeitungsspuren an den beiden Platten ist nicht nur auffällig und damit sehr ungewöhnlich, sie widerspricht auch derjenigen Verarbeitungsqualität, die ich von anderen in Deutschland hergestellten Rasierhobeln her kenne. Die groben Verarbeitungsspuren können aber durchaus von einer kriegsbedingten Ersatzproduktion zeugen, bei der es mehr auf die hergestellte Stückzahl als auf die Einhaltung gewisser Qualitätsanforderungen ankam. Möglicherweise hat die Verarbeitungsqualität auch nachgelassen, da die Menschen, die diese Arbeiten ausgeführt haben, keine ausgebildeten Fachkräfte waren.




Abbildung 15:  An den Querseiten der Kopf- und Grundplatte sind die Stanzspuren der Herstellung deutlich sichtbar. Eine nachträgliche Bearbeitung fand nicht statt.




Abbildung 16:  Bei der Herstellung der Kopfplatte sind die Verarbeitungsspuren der Blechausstanzung an den Kopfrändern nicht entfernt worden und ebenfalls deutlich zu sehen.


Die Abbildungen 8, 10 und 12 zeigen, dass die ovalen Löcher in der Grundplatte recht groß ausgefallen sind und so den Zentrierzapfen der Hobelkopfplatte ein gewisses Spiel einräumen. Diese ungewöhnliche Lochform hat allerdings auch einen Vorteil, dass der Rasierhobel von seiner Konstruktion her möglicherweise auch mit einer anderen als der vorhandenen Kopfplatte ausgestattet werden konnte. Das ist aber auch nur eine Annahme von mir. Als ich das dann probeweise geprüft habe, zeigte sich, dass tatsächlich auch andere Hobelkopfplatten gepasst haben. Sie stehen nur manchmal von ihrer Länge her etwas über. Weitere Unterschiede betrafen die Innenseite dieser Kopfplatten. In Abhängigkeit vom Innenradius der jeweiligen Kopfplatte verleiht diese einer eingelegten Rasierklinge einen anderen Biegeradius. Das beeinflusst natürlich das spätere Rasurergebnis. Ob der einstige Konstrukteur diese Feinheiten alle bedacht hat? Antworten dazu gibt es nicht.
Möglicherweise lassen sich die großen Toleranzen bei den Löchern in der Grundplatte auch viel einfacher erklären. Sie könnten einfach vom Stanzwerkzeug vorgegeben worden sein, so dass der Stanzprozess selbst für diese Toleranzen gesorgt hat.

Da auch andere Kopfplatten zu der Pandora-Grundplatte meines Rasierhobels passen, lässt sich folglich auch nicht ausschließen, dass diese stählerne Kopfplatte tatsächlich noch diejenige Kopfplatte ist, mit der mein Pandora-Rasierhobel ursprünglich ausgeliefert wurde. Möglicherweise könnte ein früherer Nutzer aus einem nur ihm bekannten Grund einen Austausch vorgenommen haben. Könnte diese Annahme vielleicht zutreffen? Ich glaube nicht, dass diese Annahme zutrifft. Von der reinen Geometrie her gibt es keine bessere Passung als diejenige, die in den Abbildungen 4, 6, 9 und 15 gezeigt wird. Der Innenradius der Kopfplatte schmiegt sich ideal an den Außenradius der Grundplatte an. Ein weiteres Indiz für den Originalzustand bilden die Verarbeitungsspuren an beiden Platten. Ich hatte bereits erwähnt, dass diese Spuren einer mängelbehafteten Bearbeitung der Auslieferungsqualität anderer deutscher Rasierhobel widersprechen. Die vorhandenen Verarbeitungsmängel betreffen beide Platten und belegen so, dass beide Platten unter denselben eingeschränkten Fertigungsbedingungen hergestellt wurden (siehe hierzu die Abbildung 15). Und falls die vorhandene Kopfplatte doch ein Austauschprodukt sein sollte, wäre es schon ein außergewöhnlicher Zufall, dass ein früherer Nutzer die ursprüngliche Originalkopfplatte (vielleicht aus Bakelit bestehend) genau gegen eine stählerne Kopfplatte ausgetauscht hat. Wo hätte er diese stählerne Kopfplatte erwerben können? Damit lässt sich auch die Annahme eines Tausches ausschließen. Die vorhandene stählerne Kopfplatte ist und bleibt die Originalkopfplatte der ursprünglichen Auslieferung.

Verarbeitungsmängel liegen auch bei der an der Oberseite beider Grundplatten eingeschlagenen Kennzeichnung D.R.G.M. vor, wie es in den Abbildungen 17 und 18 deutlich zu sehen ist. Die Kennzeichnung scheint beim Einschlagen immer etwas zu verrutschen, bei meiner Grundplatte ist der letzte Buchstabe M noch gut ablesbar, der nachfolgende Punkt ist dagegen nur noch rudimentär vorhanden (siehe Abbildung 17). Weiterhin sieht man meiner Grundplatte die über die Jahre entstandenen Altersspuren an. Dagegen sieht die Grundplatte des Rasierhobels des Verkäufers Lionsweb-2010 nahezu neuwertig aus (Abbildung 18), denn irgendwelche Alters- und Gebrauchsspuren sind auf dieser Platte nicht vorhanden. Bei dieser Grundplatte wurde die Prägung D.R.G.M. im Übrigen wesentlich nachlässiger eingeschlagen. Die Prägung ist nach oben und zusätzlich noch nach rechts verrutscht, der Buchstabe M ist so fast zur Hälfte weggefallen, der nachfolgende Punkt fehlt überhaupt.  




Abbildung 17:  Ansicht der eingestanzten Kennzeichnung D.R.G.M. bei meinem Rasierhobel.




Abbildung 18:  Ansicht einer nahezu neuwertigen Grundplatte des Rasierhobels von Lionsweb-2010, in die die Kennzeichnung D.R.G.M. nachlässig eingeschlagen wurde.


Beide Einstanzungen D.R.G.M. lassen vermuten, dass sie von Hand eingeschlagen wurden. Auch an diesem Beispiel ist ersichtlich, dass die von Hand ausgeführte Arbeit in ihrer Qualität nachgelassen hat. Im Vergleich dazu war die frühere Fertigungsqualität von Kennzeichnungen oder Beschriftungen auf anderen deutschen Rasierhobeln einfach besser.

Am auffälligsten ist dann noch die Namensbezeichnung Pandora. An der Grundplatte von Lionsweb-2010 ist der Name Pandora auf deren Unterseite eingeschlagen (siehe Abbildung 14). Bei meiner Grundplatte fehlt dieser Name (siehe Abbildung 10 und 12). Das Weglassen eines Namens oder einer Herstellerbezeichnung ist ungewöhnlich und könnte als ein Indiz dafür gewertet werden, dass der Wegfall dieser Einstanzung den Fertigungsablauf bewusst um diesen einen Arbeitsschritt vereinfacht hat. Dies würde auch wieder für einen kriegsbedingte Ersatzfertigung sprechen. In meiner Rasierhobelsammlung (> 200 Stück) befindet sich im übrigen kein einziger deutscher Hobel, für den das Weglassen seines Namens in ähnlicher Weise zutrifft. Deutsche Hobel sind entweder mit einer Kennzeichnung versehen oder aber verzichten ganz darauf. Und diejenige Stelle, wo es eine Kennzeichnung gibt, verändert sich auch bei verschiedene Fertigungsserien nicht. Auch in diesem Fall widerspricht der Pandora-Rasierhobels vielen gewohnten und liebgewonnenen Erfahrungswerten.

Bisher war ich davon überzeugt, dass alle bis 1945 hergestellten deutschen Rasierhobel entweder vollständig oder aber einzelne Komponenten von ihnen aus Messing, aus Zinkdruckguss, aus Bakelit oder aus einem sonstigen Kunststoff hergestellt wurden. Dieser existierende Pandora-Rasierhobel aus Stahl könnte nach meinen Recherchen also tatsächlich in den Kriegsjahren in Solingen produziert worden sein. Wenn sich dies einwandfrei bestätigen ließe - ich habe ja bisher nur einzelne Indizien zusammengetragen, die für meine These sprechen - würde der Rasierhobel ein beachtenswertes und vor allem ein rasurgeschichtliches Beweisstück sein, denn er bezeugt eine frühe Stahlhobelproduktion in Deutschland, die kriegsbedingt tatsächlich zwischen 1943 und 1945 stattgefunden hat. Ich möchte aber auch nicht völlig ausschließen, dass ich mangels belastbarerer Informationen eine These aufgestellt habe, die eine Stahlhobelproduktion während des letzten Krieges wahrscheinlich werden lässt, die dann aber doch nicht stattgefunden hat aus Gründen, die mir und uns bisher unbekannt geblieben sind.  


8.  Zeitgenössische Hobelgriffe für den Pandora-Rasierhobel
Es gibt keine Informationen darüber, ob der Pandora-Rasierhobel allein für den zivilen Markt oder vielleicht auch für den Bedarf der Wehrmacht hergestellt wurde. Die Tatsache, dass ich diesen Rasierhobel wie viele andere Rasierhobel davor auch gerade in Frankreich erwerben konnte spricht allerdings dafür, dass dieser Rasierhobel ursprünglich einem deutschen Soldaten gehört haben könnte und von diesem für seine Rasuren genutzt wurde. Der Rasierhobel verblieb danach in Frankreich, weil er dem Soldaten bei seiner Gefangennahme oder weil er einem gefallenen Soldaten abgenommen wurde.

Informationen über die frühere Auslieferung des Pandora in einer Transportbox aus Bakelit oder aus verstärktem Karton oder nur noch aus einfacher Pappe gibt es auch nicht. Es ist gleichfalls unbekannt, mit welchem Hobelgriff der Pandora ausgestattet war. Gab es einen Standardgriff, zum Beispiel aus Bakelit, oder wurden vielleicht auch noch andere Griffe verwendet, deren Verfügbarkeit allein von der allgemeinen Versorgungslage unter den ständigen Kriegseinwirkungen abhing? An meinem Rasierhobel befanden sich ja ursprünglich noch die Reste eines alten Bakelitgriffes von unbekannter Herkunft. Und der von Lionsweb-2010 in der elektronischen Bucht angebotene Pandora besaß einen Ball-End-Griff, wie man ihn vom Gillette Old-Type her kennt.

Die Frage nach der tatsächlichen Hobelgriffvariante bleibt unbeantwortet. Vorstellbar ist aber, dass der Hersteller nur unter zeitgenössischen Hobelgriffen ausgewählt haben wird und dies natürlich in Abhängigkeit von der jeweiligen Verfügbarkeit. In der nachfolgenden Abbildung 19 habe ich dazu mehrere zeitgenössische Hobelgriffe nebeneinander gelegt, die jeder für sich an den Pandora-Rasierhobel angeschraubt werden können und so beispielhaft zeigen, wie der Hobel in den 40er Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts möglicherweise ausgesehen haben könnte.




Abbildung 19:  Ansicht von verschiedenen zeitgenössischen Hobelgriffvarianten, mit denen der Pandora-Rasierhobel ausgestattet gewesen sein könnte.


Als Hobelgriffe könnten infrage gekommen sein:
- ein Bakelitgriff, wie er beispielsweise für anglo-amerikanische Rasierhobel verwendet wurde,
- ein Bakelitgriff aus deutscher Produktion (z.B. für Sonnal),
- ein Ball-End-Griff, dessen Form sich an gängige Messinggriffe von Gillette und von Gillette-Klonen anlehnte,
- ein einfacher Griff aus Zinkdruckguss, wie er auch zur Grundausstattung vieler Globusmann-Rasierhobel gehörte,
- ein einfach gedrehter Griff aus Stahl (Flohmarktfund) und
- ein anderer einfacher Stahlgriff (ebenfalls Flohmarktfund), den ich für meinen Pandora ausgewählt habe.

Jetzt folgen einige Bilder, die den Pandora-Rasierhobel mit den verschiedenen zeitgenössischen Hobelgriffen zeigen.




Abbildung 20:  Griffausstattungsvariante für anglo-amerikanische Rasierhobel.




Abbildung 21:  Griffausstattungsvariante Bakelitgriff, dem Standardgriff vieler deutscher Rasierhobel.




Abbildung 22:  Griffausstattungsvariante Ball-End, Standardgriff des Gillette Old-Type und vieler seiner Klone.




Abbildung 23:  Griffausstattungsvariante Globusmann, ein zeitgenössischer einfacher Griff aus Zinkdruckguss.




Abbildung 24:  Für diese Griffvariante wurde ein ganz einfach herzustellender Stahlgriff ausgewählt.




Abbildung 25:  Der Pandora-Rasierhobel mit dem von mir ausgesuchten Stahlgriff.


9.  Rasureigenschaften
Die Beschreibung der Rasureigenschaften eines bestimmten Rasierhobels ist in der Regel immer von subjektiven Eindrücken geprägt. Ich denke, dass das auch für den von mir getesteten Pandora-Rasierhobel zutrifft. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle meine Eindrücke schildern.

Vor der eigentlichen Rasur muss zuerst einmal eine Rasierklinge richtig eingelegt werden. Und das gestaltet sich beim Pandora-Rasierhobel als etwas trickreich, denn die in die Grundplatte des Hobels eingestanzten Löcher für die Aufnahme der Zentrierzapfen der Kopfplatte sind bei der Herstellung, das heißt beim Ausstanzen aus einem Blechstreifen, geringfügig größer ausgefallen. Diese Tatsache zeigte sich schon deutlich in den Abbildungen 8, 10 und 12. Werden nun die Kopf- und die Grundplatte zusammengefügt, hat die Kopfplatte etwas Spiel und lässt sich minimal verdrehen. Vor jeder Rasur musste und muss ich die Rasierklinge beim Einlegen deshalb ausrichten, damit die Klingenschneiden danach parallel zu den Schaumkanten stehen. Am deutlichsten ist dies in der folgenden Abbildung zu erkennen.




Abbildung 26:  Die Rasierklinge sitzt etwas verdreht im Hobelkopf und muss vor der Rasur erst noch ausgerichtet werden.




Abbildung 27:  Sichtbare Toleranzen zwischen der Rasierklinge und den Zentrierzapfen sorgen vor jeder Rasur für ein zu korrigierendes Rasierklingenspiel.




Abbildung 28:  Ansicht der vorhandenen Toleranzen bei den Löchern in der Grundplatte, die einer automatischen Zentrierung der Rasierklinge beim Einlegen entgegenstehen.


Die schief stehende Rasierklinge hatte mich anfangs schon etwas gestört, inzwischen habe ich mich aber daran gewöhnt, es ist eben eine bestimmte Eigenart dieses alten Rasierhobels. So erfahre ich bei diesem Hobel regelmäßig, dass geschichtsträchtige Dinge eben auch Spuren hinterlassen haben.

Mit dem Pandora habe ich mich nun schon über ein Jahr lang regelmäßig und sehr gerne rasiert, ohne dass der Wunsch nach einem vorzeitigen Wechsel zu einem anderen Rasierhobel aufgetreten ist. Warum? Das ist einfach zu erklären, weil die Rasuren damit einfach stimmig waren. Der Hobel liegt ausgewogen in der Hand, die Gewichtsverteilung sorgt für eine sehr gute Balance und der Pandora rasiert damit  ausgesprochen führig und gründlich. Dies erlebe ich regelmäßig dann, wenn ich diesen Rasierhobel kurz unterhalb des Rasierkopfes anfasse, um ihn dann gezielt auf die Gesichtshaut aufzudrücken und ihn danach unter konstantem Andruck vom Ohr aus in Richtung Kinn oder Oberlippenbereich über die Gesichtshaut zu ziehen. Die erzielten Rasurergebnisse waren regelmäßig nachhaltig und das nach der Rasur aufgetragene Aftershave brannte nicht. Diese Erfahrungen sind aber nur die subjektiven Eindrücke eines zufriedenen Nassrasurliebhabers.

Im Vergleich zum Merkur 34 und zum Ikon OC der ersten Serie rasiert mich mein Pandora mindestens auf demselben Niveau, wenn nicht sogar noch ein wenig besser und bei vergleichbarer Gründlichkeit. Er rasiert auch besser als ein Mühle Rocca, der im Vergleich zum Pandora irgendwie schwerfällig über die Gesichtshaut schabt. Gegenüber dem sehr direkten Blackbird von Blackland rasiert der Pandora sanft, ohne dass die Gründlichkeit darunter leidet. Eine Besonderheit möchte ich dazu noch erwähnen. Rasiert man sich mit dem Blackbird mehrmals hintereinander und verwendet hierbei immer dieselbe Rasierklinge, entsteht nach kurzer Zeit der Eindruck, dass die Standzeit dieser Rasierklinge im Blackbird schon recht früh erreicht wurde. Das führt dann zu einem frühzeitigen Klingenwechsel. Dieser Eindruck entsteht beim Pandora nie. Er rasiert einfach weiter und nutzt das Leistungsspektrum jeder eingelegten Rasierklinge aus. Aktuell habe ich mit einer nur im Pandora verwendete Dorco-Rasierklinge eine Standzeit von 51 Rasuren erreicht. Meiner Meinung nach übertrifft der Pandora damit sogar einen Großteil der heute aktuellen Rasierhobel. Trotz seines Alters von fast 80 Jahren unterstreicht dies die gelungene Konstruktion des Pandora.

Der Pandora ist ein bemerkenswerter und für seine Zeit außergewöhnlicher Rasierhobel. Seine Konstruktion mag zwar alt erscheinen und die Voraussetzungen, die zu  seiner Herstellung führten, begründen sich sehr wahrscheinlich durch den Krieg mit allen kriegsbedingten Folgen und Einschränkungen. Aber der aus dem Ersatzwerkstoff Stahl und unter einfachen handwerklichen Fertigungsbedingungen hergestellte Pandora muss sich deshalb einem Vergleich mit aktuellen Rasierhobeln nicht entziehen. Im Gegenteil. Er hält einem Vergleich mit aktuellen Rasierhobeln und mit Rasierhobeln aus Edelstahl zu jeder Zeit stand.


10.  Anhang
10.1  Zusammenstellung der technischen Rasierhobeldaten
Die technischen Daten des Pandora-Rasierhobels sind in der nachfolgenden Tabelle zusammengefasst. Bei der von mir angegebenen Länge und beim Hobelgewicht werden Abweichungen entstehen, sobald ein anderer als der von mir in den ersten Bildern gezeigte Griff angeschraubt wird.

Technische Daten des Pandora-Rasierhobels

Rasierhobeltyp: dreiteiliger Rasierhobel mit geraden Schaumkanten und Rasierschaumschlitzen
Modellbezeichnung: Pandora
Hersteller: unbekannt
Herstellung: in Deutschland, möglicherweise in Solingen
Herstellungszeitraum: 1943 bis 1945, also 40er Jahre des zurückliegenden Jahrhunderts
Hobelwerkstoff: Stahl (Kopf- und Grundplatte, Hobelgriff), Messing (nur der Gewindezapfen der Kopfplatte)
Stahlgüte: eher gering, Flugrostbildung möglich
Herstellverfahren: Stanzverfahren (Kopf- und Grundplatte, Prägung)
Verarbeitungsgrad: mäßig, deutlich sichtbare Verarbeitungsspuren und größere Toleranzen
Oberflächenbeschichtung: keine
Abmessungen: 79 x 42 x 25 mm
Gewicht: 46 gr.
Klingenaufnahme: 3-Zapfen-System
Hobelkopfgewinde: M5
Bezugsmöglichkeit: absolut selten, Zufallsfund
Preisrahmen: ca. 70 €, 2021 in der deutschen Bucht gesehen


10.2  Flugrostspuren
Die nachfolgende Abbildung 29 zeigt, woran Flugrost zu erkennen ist. Es ist ein meist hellbräunlicher Belag, der sich auf eisenhaltigen Metallflächen absetzt. Im vorliegenden Fall ist das Innengewinde eines Stahlgriffes vom Flugrost angegriffen. Mit genau diesem Stahlgriff habe ich meinen Pandora-Rasierhobel ausgestattet. Der Flugrost stört mich nicht wirklich, da er durch eine eher geringe Stahlqualität entstehen konnte und somit zu meinem zeitgenössischem alten Rasierhobel passt.




Abbildung 29:  Flugrostspuren an einem Innengewinde eines stählernen Rasierhobelgriffes.


10.3  Verwendete Werkstoffe für deutsche Rasierhobel bis etwa 1945
Vor über 80 Jahren hat sich die Herstellung von Rasierhobeln nicht anders als heute auch an dem für die jeweilige Zeit geltenden Stand der Technik orientiert. Das betraf sowohl die Werkstoffauswahl als auch die werkstoffspezifischen Fertigungsabläufe. Bis etwa 1945 wurden für Rasierhobel oder zumindest für einzelne Komponenten eines Rasierhobels folgende Werkstoffe verwendet:
- Messing,
- Zinkdruckguss,
- Bakelit,
- sonstige Kunststoffe,
- und auch Stahl (belegt durch den hier vorgestellten Rasierhobel).

Es folgt nun eine kurze Beschreibung der einzelnen Werkstoffe.

Messing
Messing ist der älteste für die Rasierhobelproduktion verwendete Werkstoff. Er zeichnet sich durch eine gute Verformbarkeit aus, ist relativ korrosionsbeständig und lässt sich hervorragend bearbeiten.  In der Regel wurden die Messingoberflächen der Rasierhobel versiegelt, bis 1945 zum Beispiel durch Versilbern, Vergolden, Vernickeln oder Verchromen. Während des Krieges wird die Produktion von Rasierhobeln aus Messing in ähnlicher Weise wie auch bei anderen ursprünglich aus Messing herzustellenden Artikeln zurückgegangen sein. Dafür sind folgende Gründe zu nennen:
- im Verlauf des Krieges herrschte ein grundsätzlicher Mangel an Buntmetallen,
- die Kriegsfertigung hatte gegenüber jeder zivilen Fertigung in allen Bereichen Vorrang,
- die Stadt Solingen als hauptsächlicher Fertigungsstandort für Schneidwaren aller Art wurde durch Bombenangriffe zerstört, so dass eine nennenswerte Hobelfertigung – sofern es sie überhaupt danach noch gab – ausfiel.

Die Solinger Schneidwarenindustrie hat sich erst nach 1948 von den Folgen des Krieges erholen können. Die Fertigung von Rasierhobeln aus Messing wurde wieder aufgenommen.
Rasierhobelbeispiele: Aal, Golf, Merkur, Old-Type-Klone, Rotbart.

Zinkdruckguss
Zinkdruckguss lässt sich nicht nur gut gießen sondern auch im kalten und im warmen Zustand hervorragend umformen. Diese Vorteile begünstigen eine kostengerechte Rasierhobelproduktion. Dem steht allerdings auch ein entscheidender Nachteil gegenüber, denn die nackte und somit ungeschützte Werkstoffoberfläche reagiert unter dem aggressiven Einfluss gewisser Medien (z.B. Rasierseifenschaumgemische) mit erhöhter (chemischer) Korrosion. Deshalb sind die Oberflächen von Rasierhobeln aus Zinkdruckguss zumindest vernickelt, in der Regel aber verchromt.
Rasierhobelbeispiele: Apollo, Best, Emir, Globusmann, Merkur, Mulcuto, Punktal, Sonnal.

Bakelit
Bakelit zählt zu den Kunststoffen und ist ein Duroplast, der aus Phenolharzen und Formaldehyd hergestellt wird. Die Einzelteile eines Rasierhobels entstehen in Formen, in die die Kunstharzmasse gepresst wird. Die Aushärtung in der Form erfolgt unter dem Einfluss von Wärme und Druck. Bakelit gibt es nur in zwei dunklen Farbtönen, entweder schwarz oder braun. Bakelit ist zudem ein spröder Werkstoff mit hoher Festigkeit, er brennt und verformt sich nicht bei Wärme und lässt sich zudem hervorragend bearbeiten. Die Herstellung von Bakelit ist sehr preiswert. Allerdings sollen auch zwei Nachteile genannt werden, Bakelit hat einen stechenden Geruch und es lässt sich nicht recyclen.
Rasierhobelbeispiele: Busch, Dopa, Eros, Sonnal, Trumpf.

Sonstige Kunststoffe
Für die Herstellung von Rasierhobeln wurden auch noch andere Kunststoffe verwendet. Es handelte sich hierbei wie bei Bakelit um Duroplastkunststoffe, die aus Formaldehydharz oder Gießharz hergestellt wurden. Diese Kunststoffe zeichnen sich ebenfalls durch ihre Härte und Temperaturbeständigkeit aus und sie lassen sich hervorragend bearbeiten.
Rasierhobelbeispiele: Apollo, Bonsa, Fasan, Merkur, Mulcuto. Neo-Ras.

Stahl
Der Werkstoff Stahl ersetzte in den Kriegsjahren in allen Industriebereichen zunehmend die nur noch sehr begrenzt verfügbaren Buntmetalle (Cobalt, Kupfer, Nickel, Blei, Zinn und Zink) aus denen die Legierungen Messing, Bronze und Rotguss gewonnen wurden. Stahl ist in Abhängigkeit von seinen Einzelkomponenten (z.B. Nickel, Chrom) ein harter Werkstoff und teilweise recht korrosionsbeständig. Er lässt sich hervorragend be- und verarbeiten (verspanen, stanzen, pressen, bohren, Herstellung von Blechprägeteilen und Patronenhülsen) und ersetzte zunehmend andere arbeitsintensive Herstellungsverfahren. Die Produktion von Stahlprodukten war während des Krieges auf viele Einzelstandorte verteilt, wodurch größere Ausfälle durch Kriegshandlungen vermindert wurden.
Der hier vorgestellte Pandora-Rasierhobel ist durch Ausstanzen entstanden. Die Bezeichnungen D.R.G.M. und Pandora wurden in das Stahlblech eingeschlagen. Der Pandora-Rasierhobel ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der einzige Rasierhobel, der während der Kriegszeiten aus Stahl hergestellt wurde.

An dieser Stelle möchte ich noch kurz auf einen weiteren Werkstoff eingehen, der möglicherweise auch schon in den 40er Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts in Deutschland für die Herstellung von Rasierhobeln zur Verfügung gestanden haben könnte. Es war das Aluminium. Die Aluminiumherstellung in Deutschland hing besonders während des Krieges von einer ungestörten Versorgung mit Bauxit, von geeigneten Produktionsstätten und von einem hohen Energieverbrauch bei der Herstellung (Strom) ab. Die Aluminiumproduktion und Verarbeitung konzentrierte sich deshalb vorrangig auf die Flugzeugproduktion und auf die Herstellung sonstiger kriegswichtiger Güter. Damit schied eine Verwendung von Aluminium für die Produktion von Gütern für den zivilen Bereich aus. Eine Verwendung von Aluminium für Rasierhobel erfolgte meines Wissens nach erst nach 1950, hier besonders in der DDR (verschiedene Golfvarianten, Brilliant).

Die Nachhaltigkeit einer gründlichen Nassrasur zeigt sich 24 Stunden später an nur gering und gleichmäßig nachgewachsenen Bartstoppeln.

alvaro

Meine Herren, das ist ja wieder einmal eine Meisterleistung von dir lieber @ Standlinie dh:

MRetro

Ein spannender Bericht bei dem man sich um ca. 80 Jahre zurückversetzt fühlt. Schönen Dank, Standlinie.  dh:

Lu-Ku

Wow!! Vielen herzliche Dank, mein Lieber!!  dh: dh:
Ein absoluter Lesegenuss, den ich mir heute Abend noch einmal gönnen werde...
Danke für die Mühe, die du dir gemacht hast!! Einfach nur großartig!
Das schönste aller Geheimnisse: ein Genie zu sein und es als einziger zu wissen. (Mark Twain)

Onkel Hannes

Sehr schöner Artikel, man lernt nie aus. Danke!  dh:
Hungrig vom schlafen und müde vom essen.

Thorsten69


Tim Buktu

Klasse Bericht Standlinie! Dank Deine akribischen Arbeit können wir hier einiges Lernen. Hätte man mich vor der Lektüre Deines Berichts gefragt hätte ich eher gedacht dass Buntmetalle als Ersatz für Stahl genommen wurden.
Im Gesamtzusammenhang bzgl. des Krieges und seiner Auswirkungen speziell auf die Wirtschaftsstruktur in Solingen sind Deine Ausführungen aber aufschlussreich und überzeugend.
Tranquilo - In der Ruhe liegt die Kraft...

PS: Alles nur meine persönliche Meinung, die sich durchaus beeinflussen lässt und sich deshalb gelegentlich auch ändert!