Das Rasurduell

[baknip]

Schon seit Längerem schwebt mir ein Rasurduell im Kopf herum. Ganz subjektiv und mit Augenzwinkern. Im Fight um die Ehre treten Rasurpersönlichkeiten nach Lust und Laune gegeneinander an, die man so oder zumindest unter diesen willkürlichen Kriterien normalerweise nicht gegeneinander streiten lassen würde. Ein Rasurduell der Ehre, gar nicht ernst gemeint, bei dem jeder mitmachen kann.

Los geht's mit einem US-amerikanisch-österreichischen Zweikampf: Above The Tie Windsor vs. Koraat Damast 8/8.




Die Sekundanten: The Negroni und Alan Parsons.




Auf der einen Seite der ATT Windsor mit geschlossener Schaumkante in Hochglanzedelstahl. Der Dreiteiler ist der Platzhirsch in Above The Ties Premium-Serie. Beim 5-Piece-Set sind der Calypso-Griff mit umlaufender Spiralriffelung, drei Bodenplatten mit unterschiedlichem Klingenabstand und ein passender Deckel dabei. Den Ink-Well-Ständer – ein wenig arg groß und daher kein Rasuraristokrat – gibt's nur gegen Aufpreis. Die R-Platte (Regular) soll für normalen Bartwuchs sein, die H-Platte (Hard) eine direkte Rasur ermöglichen und die M-Platte (Mild) im Schongang rasieren. Macht alles in allem einen guten Eindruck: 1:0 für den ATT.






Von Ulrik Beyer stammt das 8/8tel Koraat. Bei diesem Ding ging es mit wie Falco bei Jeanny: Es war Liebe auf den ersten Blick. Es ist handgeschmiedet, was für mich kein relevanter Punkt war, weil ich nicht denke, dass die Klinge nur mit dem bildlichen Kilohammer in der Hand hergestellt wurde, sondern mit einem hydraulischen oder pneumatischen Hammerwerkzeug, was dann nicht mit meiner Vorstellung von ,,handgeschmiedet" harmoniert.






Die Deutsch-Österreichische Freundschaft startete wenige Tage später, als Ulriks Lieferung eintraf – drei Jahre ist das schon her. Weg mit dem Karton. Die Anmutung der Klinge und des Torsionsdamasts, einfach des ganzen Rasiermessers ist sowas von perfekt. Die Plastikhefte mit ihrem grau-changierendem Farbspiel hätte ich mir niemals ausgesucht, aber sie passen zu 100 Prozent und bleiben deshalb auch dran. Proportionen Klinge zu Heft: Check. Gewichtsverteilung in der Hand: Check. Haptik insgesamt: Check. Runder Rückenquerschnitt: Check. Hauchdünne, kerzengerade Facette (wirkt auf den Fotos durch die Perspektive teilweise anders): Check. Für das harmonische Gesamtbild gibt es einen Punkt und obendrein gleich noch einen Extrapunkt: 2:1 für das Koraat-Messer.




Das Rasiermesser ist derb, aber so gearbeitet, dass sich die Klinge nach unten stark verjüngt und zur Schneide hin für ein derbes recht schlank daherkommt. Dadurch geht das Rasurgefühl fast schon in Richtung eines Viertelholen, was mir mehr als recht ist, mehr dazu unten.
Der Schorkopf - ist faszinierend. Ein kleines Kunstwerk für sich. Ich erwische mich immer wieder, wie ich die Reflexionen bei seitlichem Lichteinfall studieren. Okay, dafür noch einen Punkt: 3:1 für das Rasiermesser.




Bei Above the Tie schätze ich generell die Fertigungspräzision – und der Windsor macht hier keine Ausnahme. Kopf und Klinge sitzen ohne Spiel und das Gewinde läuft satt.
Sehr schön gelöst: Die Klinge wird vom Kopf des Rasierers vollständig umschlossen. Die an den Seiten üblicherweise hervorstehenden Klingenbereiche sind verdeckt und dadurch unsichtbar. Der Kopf ist dadurch minimal breiter, was mir optisch entgegenkommt. Technische Vorteile kann ich für mich keine ausmachen, habe mich noch nie mit dem Klingenflügeln in Nase oder Ohren geschnitten. Schön ist es allemal – und einen Punkt wert: 3:2 für das Messer.




So sehr da bei ATT mit Scheiben, Tüchern, Pasten und weiß Gott noch was auch immer poliert wurde: Stark glänzt er ja, aber für mich ist das kein volles High Polish. An den meist makellosen Hochglanz eines verchromten Rasierers von Mühle oder Edwin Jagger kommt die Politur nicht ran. Die Fotos entlarven gnadenlos die Schwächen in der Politur des Windsors (übrigens auch bei anderen polierten Edelstahlhobeln), die mit dem bloßen Auge nur wenig auffallen. Ob das mit vertretbarem Aufwand besser ginge, vermag ich nicht zu beurteilen. Kein Punkt jedenfalls für die Detailverarbeitung beim Windsor und knapp an einem Punktabzug vorbeigeschrammt.






Die M-Platte beim Windsor ist mir zu sanft – R und H sind klasse. Die R passt sehr gut zu mir, die H-Platte bietet ein direkteres Klingengefühl, ohne in die R41-Liga zu kommen. H ist das Mittel der Wahl, wenn ich zwischendurch eine straffe Rasur möchte, R verwende ich für alle anderen Tage. Mein Klingenfavorit ist die grün-orange Super-Max: Harmoniert für mich mit beiden Platten, macht superviel Spaß und hinterlässt im Windsor ein schönes Hautgefühl, sodass ich mich gut rasiert wohlfühle: 3:3 Gleichstand. Und ein Extrapunkt für die Anpassungsmöglichkeit durch die Platten (ja, Du hast ja recht, die Platten bezahlt man auch, aber egal an dieser Stelle). Macht 4:3 für den Windsor.




Das Koraat Damastrasiermesser ist aus der Box knackscharf. Kurz ledern, Haartest und ran an den Mehrtagesbart. Nun der Seufzer. Wie vermutet, oder besser gesagt befürchtet, rasiert ein derbes Rasiermesser auch wie ein derbes Rasiermesser. Und das bedeutet bei mir ein Rupfen beim Schneiden der längeren Barthaare. Unser Rasurkollege Sensor hat hier im Forum in einem anderen Thread mal erklärt, dass er für die tägliche Rasur eher vollhohle Messer und derbe Klingen bei längerem Bart bevorzugt. Bei mir verhält es sich anders: Vollhohl und scharf schneidet auch längere Barthaare ohne Ziepen, derb und scharf mag ich nur für die tägliche Rasur.
Da liegt sie nun, die wunderschöne Damastklinge, und muss aussetzen, bis ein anderes Rasiermesser die Vorarbeit gemacht hat. Im zweiten Durchhang zeigt sie dann, was ihn ihr steckt: Ein flinkes Manöver durch die Rasurzone über die Stoppeln mit guter Schaumaufnahme und leichtem Abspülen. Set und Setting müssen passen – das war nicht ganz der Fall. Daher kein weiterer Punkt für die Koraatsche Zauberklinge.





Sieger nach Punkten ist diesmal der Above The Tie Windsor.

[Standlinie]

Toll! Erinnert mich an den Kommentator Ernst Huberty bei der Kommentierung eines Fußballspiels. Wir hingen alle an den Lautsprechern unserer Radios als es dann hieß: "Toooooooooooooooooooooooor" !!!!!!!!!!!!!!!!!!!

[Tim Buktu]

So herrlich subjektiv und schön wie unser Hobby!
Und: Mir macht das Duell Lust auf einen Besuch in der Nibelungenstadt Pöchlarn um evtl. doch noch in diesem Leben zu einem Messer von Ulrik Beyer zu kommen.

[Marverel]

Schön zu lesen und prima Fotos. Bekommt von mir 

[Matthias R.L.]

Interessante Idee, toller Bericht und faszinierend schöne Bilder (Vollformat SLR ?)

[Oberloser]

Gut, dass Du im Intro darauf hingewiesen hast, das der Vergleich nicht ganz ernst gemeint ist, bevor hier lange begrabene Kriegsbeile wieder ausgegraben werden. Die Geschmäcker sind verschieden und das ist auch gut so.

Wunderbar leicht und innovativ geschrieben! Vor allem aber haben mich die Bilder inspiriert, mit denen Du ein beeindruckendes Gespür für Perspektive und Stimmung zeigst. Die Fotos machen es für mich erst möglich, das Geschriebene in Gänze zu verstehen. 

[947]

Schöner Beitrag 

[baknip]

Meine Herren - besten Dank.

Die alte Idee des Rasurduells warm gemacht hat Standlinies Report zur Reparatur des Schick-Magazinrasierers. Sein hintergrundreicher Text und die untersreichenden Bilder waren Ansporn, das hier endlich umzusetzen. Ich bitte Euch ums Mitmachen. Eure Rasurutensilien erzählen die Geschichte, ihr schreibt sie einfach auf.

Pickt Euch zwei geliebte, gehasste oder sonst wie emotionale Rasurutensilien heraus. Wir alle kennen die Kraft der Imagination, wenn wir uns angeregt durch eine Post oder ein Foto im Forum in einen Hobel oder ein Messer vernarren. Und die Vorfreude, bis das gute Stück endlich eintrifft. Und dann - so in echt - ist alles oft anders, als gedacht. Besser, schöner und eindrucksvoller, ein Flopp oder irgendwo dazwischen. Und dafür gibt es hier das richtige Plätzchen. Einziger frommer Wunsch: Mehr als drei Zeilen Text und mehr als ein Bild. Weil gerade Text UND Bilder die Lust machen, Tim Buktu, da bin ich bei Dir.


@Matthias R.L.: Vollformat SLR ?
=> Nein, die hätte ich gerne. Habe meine Fotoausrüstungsambitionen begraben und hier eine bedauerlich popelige Canon-SLR verwendet. Kein Kompromiss beim Objektiv - EF 70–200mm 1:2,8L IS II und damit was für die Fitness beim Knipsen getan.

[godek]

Wow. Sehr sehr schöne Bilder. Das Messer gefällt mir sehr. Leider bin ich für sowas viel zu knausrig Ich will nicht mal wissen, was das gekostet hat.

[Ocrana]

Beeindruckende Bilder und eine schöne Geschichte drumherum!

[lotse]

Tolle Idee lieber baknip!
Mir würden da auf Anhieb auch gleich ein paar Ansetzungen einfallen. Mal sehen, vielleicht schaffe ich das auch mal. Das ist ein echtes Juwel hier im Forum! Toll!

[Onkel Hannes]

Tolle Idee, tolle Bilder, toller Artikel! 

Für das harmonische Gesamtbild gibt es einen Punkt und obendrein gleich noch einen Extrapunkt: 2:1 für das Koraat-Messer.

Das Messer scheint Dir echt gut zu gefallen 

[Marverel]

Kein Kompromiss beim Objektiv - EF 70–200mm 1:2,8L IS II und damit was für die Fitness beim Knipsen getan.

Was wiegt das Teil? Doch locker über ein Kilo, oder? 

[Siegfried Sodbrenner]

Kommentator Ernst Huberty

Mittlerweile auch schon 92 Jahre alt, Reinhold Beckmann, Johannes B. Kerner, Oliver Welke und Monica Lierhaus gingen bei ihm in die Lehre.
Unvergessen sein Satz: "Sie standen an den Hängen und Pisten".

[Hobelruhri]

Herzlichen Dank! Super Bilder und unterhaltsamer Text. Ich hatte viel Freude.