Schärfen für Dummies

Begonnen von Robinson, 09. August 2015, 11:38:11

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Robinson

Hallo zusammen,

ich möchte in diesem Thread noch mal das Thema "Schärfen mit dem Lapping Film" aufgreifen, welches u.a. hier seinen Anfang nahm:
https://www.gut-rasiert.de/forum/index.php/topic,18200.0.html

An wen richtet sich dieser Thread?
An Leute wie mich.
Leute, die immer und jederzeit scharfe Rasiermesser haben möchten, gleichzeitig aber keine Lust darauf haben, diese immer zum Schärfen wegschicken zu müssen oder eine Batterie an verschiedenen Steinen zu Hause haben müssen, damit sie das selber erledigen können.
Leute, die größtmöglichen Nutzen aus kleinstmöglichem Aufwand erzielen wollen.

Ich habe mir die folgende Anleitung aus verschiedenen Threads aller möglichen Foren sowie zahlreichen Youtube-Videos zusammengesucht und so eine Schärfmethode gefunden, die für mich hervorragende Ergebnisse liefert und für jeden, sei er noch so unerfahren, problemlos nachvollziehbar sein sollte.
Gleichwohl ist mir klar, dass so manch erfahrener und hingebungsvoller "Steinschärfer" kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehen dürfte, wenn er das Folgende liest.
Aber wie gesagt; die Ergebnisse sprechen für sich.

Fangen wir erstmal beim Wichtigsten an, dem benötigten Equipment:

 

Auf dem Bild ist folgendes zu sehen:
- Abziehriemen (unbehandelt)
- Tape zum Abkleben des Messerrückens (plus Teppichmesser)
- eine Pumpflasche mit Wasser
- eine Fliese (alternativ geht auch eine Glasscheibe, Hauptsache, die Oberfläche ist glatt und eben!)
- ein Taschenmikroskop (brauchbare gibt es für 10-20€ bei den einschlägigen Versandhändlern)
- 3M Lapping Film (für vergleichbar kleines Geld hier zu bekommen: http://www.workshopheaven.com/tools/3M_Lapping_Film.html)

Dazu kommt noch ein Küchenhandtuch und ein Blatt Druckerpapier.
Das war's. Mehr braucht Ihr nicht.

Zum Aufbau:
Ich habe gestern beim Schärfen leider versäumt, Bilder zu machen, daher hier nur ein exemplarischer Aufbau:

Ich habe zwei kleine Gläser genommen, um die Fliese darauf zu legen, damit alles etwas höher liegt. Das erleichtert das Schärfen ungemein. Beim Schärfen ist das stabil genug, da wackelt und rutscht nichts. Wie Ihr das bei Euch umsetzt, bleibt Euer Fantasie überlassen.

Zum Anbringen der Folie:
Die Folie ist auf der Rückseite mit einem Kleber beschichtet. Daher ziehe ich den Schutzfilm ab, befeuchte leicht die Oberfläche der Fliese und bringe dann die zurechtgeschnittene Folie an. Nachher kann man sie problemlos abziehen, wieder auf dem Schutzfilm anbringen und zu einem späteren Zeitpunkt wiederverwenden. Die Folie kann man problemlos 2-3 verwenden.
Achtet beim Aufbringen der Folie auf der Fliese / Scheibe unbedingt darauf, dass keine Blasen oder Falten entstehen. Die Oberfläche muss vollkommen glatt sein!

Klebt dann den Rücken der Klinge mit einem Stück Tape ab. Achtet auch hierbei darauf, dass alles schön sauber ist und keine Blasen etc. entstehen.

Um herauszufinden, wie gut diese Methode wirklich ist, habe ich dafür ein (eigentlich rasurscharfes) Thiers Issard genommen und die Facette zerstört, in dem ich damit über ein Trinkglas gefahren bin. Mit der Klinge hätte ich anschließend noch Steaks schneiden können, zum Rasieren war sie aber definitiv nicht mehr zu gebrauchen.

Zur Technik beim Schärfen:
Hier bin ich nun faul und verlinke auf ein Youtube-Video von Anthony Esposito:
https://www.youtube.com/watch?v=TiY8bXMxveM
Hier ist nicht nur zu sehen, wie er die Klinge über die Steine führt, man sieht auch, wie er die Klinge abgeklebt hat.
Was ich außerdem aus diesem Video übernommen habe; die Zählweise beim Schärfen.
Er benutzt die "20-10-5-x"-Technik.
Schaut Euch das Video an, dann wird vieles klarer.

Zurück zu "meiner" Schärftechnik mit den Folien:  
Ausgehend von einem stumpfen Messer habe ich mit dem 5 Micron-Film (braun) begonnen. Mit der Pumpflasche befeuchten und los geht's. Das Messer nur so fest aufdrücken, damit die Klinge durchgehend Kontakt zur Folie hat. Mehr nicht.
Hier die oben erwähnte Zähltechnik genutzt und anschließend Kontrolle mit dem Taschenmikroskop.
Auch hier bin ich faul: das Forum ist voll mit Beispiel-Fotos. Da mir z.Z. das Equipment für geeignete Fotos fehlt, verweise ich auf die Suchfunktion.
Die "20-10-5-Ausputzzüge" sollen allerdings nur als Anhaltspunkt dienen. Ein anschließender Blick durchs Mikroskop zeigt Euch, ob Ihr eventuell noch mal nachbessern müsst.
Bereits jetzt zeigt der Haartest, wo der Frosch die Locken hat. Die Haare gehen schon beim Anblick der Klinge flüchten.

Weiter geht es mit der 3 Micron-Folie.
Gleiches Prinzip wie bei der 5 Micron-Folie.

Nach diesem Schritt wechsle ich das Tape aus, da es schon erste Auflösungserscheinungen zeigt.
Dann weiter mit der 1 Micron-Folie. Wie oben beschrieben. Und immer schön sorgsam, lieber etwas langsamer machen.
Hier lege ich allerdings ein zurechtgeschnittenes Stück Druckerpapier unter die Folie. Das Messer saugt sich so regelrecht an die Folie und der Kontakt ist noch direkter.
Am Wasser, dass bei jedem Zug vor der Klinge hergeschoben wird, sieht man das auch noch mal sehr gut.  

Bevor ich als letzten Schritt die 0,3 Micron-Folie auflege, klebe ich den Rücken der Klinge mit einer zweiten Schicht Tape ab. Dies soll einen zweiten Winkel erzeugen. Ich habe damit bessere Ergebnisse erzielt, also mache ich es nun immer so.
Dann auch wieder die Züge mit der Zähltechnik, Kontrolle, ggfs. Nachbessern.
Der Haartest ist nun erschreckend. Die Haare verteilen sich wie in einer Massenpanik in alle Himmelsrichtungen.

Zum Schluss geht das Messer noch mal 70-80 über's Leder. Hier darauf achten, dass das Leder unbehandelt bzw. höchstens mit Fett eingerieben wurde. Aber keine Pasten etc. verwenden!

Mein Ergebnis bei der Testrasur:
Unglaublich scharf, unglaublich sanft. Egal, ob mit, gegen oder quer.  

Zeitaufwand: ca. 20min. Wenn man es gemütlich angehen lässt und sicherheitshalber mehrfach mit dem Mikroskop kontrolliert.

Soll das Messer nicht von Grund auf neu geschärft, sondern nur aufgefrischt werden, einfach die Folien 1 & 2 (5 & 3 Micron) weglassen.


Senser

soweit, so bekannt, so anerkannt. Und?
Gruß Senser

Robinson

Kein Und.
Dies soll nur eine Zusammenfassung dessen sein, was hier über mehrere Threads, teilweise sogar forumsübergreifend verteilt ist. Untermauert mit eigenen Erfahrungen und Hilfestellungen aus YouTube-Videos, um Leuten, die das wirklich noch nie gemacht haben, etwas an die Hand zu geben.

Sapone da Barba

Ich kannte es noch nicht. Danke für die Anleitung. Vielleicht komme ich drauf zurück.

Buumann

Sicher sehr hilfreich für Leute die erstmal langsam ins schärfen reinschnuppern wollen.

Wieder eine schöne und verständliche Anleitung mehr im Forum.
Danke hierfür.

Iltis

Zitat von: Robinson am 09. August 2015, 11:38:11
An wen richtet sich dieser Thread?
An Leute wie mich.
Leute, die immer und jederzeit scharfe Rasiermesser haben möchten, gleichzeitig aber keine Lust darauf haben, diese immer zum Schärfen wegschicken zu müssen oder eine Batterie an verschiedenen Steinen zu Hause haben müssen, damit sie das selber erledigen können.
Leute, die größtmöglichen Nutzen aus kleinstmöglichem Aufwand erzielen wollen.

...Gleichwohl ist mir klar, dass so manch erfahrener und hingebungsvoller "Steinschärfer" kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehen dürfte, wenn er das Folgende liest.
Aber wie gesagt; die Ergebnisse sprechen für sich...

...Mein Ergebnis bei der Testrasur:
Unglaublich scharf, unglaublich sanft. Egal, ob mit, gegen oder quer... 


Lapping Film ist eine Option, Schmirgelpapier kriegt man auch bis (deutsche) Körnung 7000 (meines Wissens gleicht der deutsche Schmirgelpapierkörnung 2000 der japanische Körnung 8000), was auch ausreichend sein dürfte. Ich persönlich habe, lange vor es Rasurforen oder gar Internet gab, mehr als 25 Jahre lang mein einziges Rasiermesser mit Zahnpasta auf ein Kosmetikspiegel geschärft und auf ein schlichten Ledergürtel (den ich sonst in meine Hose trug) abgezogen. Das ging.

Inzwischen schärfe ich lieber auf Natursteine. Meine "Batterie" besteht aus 3 Steine - ein GBB, ein Schieferstein und ein Japanstein unbekannte Herkunft. Ich besitze andere Steine das ich nicht mehr benutze, bringe mir aber nicht übers Herz zu verkaufen. Ich benutze auch ein Pastenriemen, obwohl man überall in Foren lesen kann, das das sch*** ist und nur von Ahnungslose eingesetzt wird. Ich finde es erstaunlich wie ahnungslos ich nach knappe 35 Jahre Messerrasur immer noch bin.

Warum ich so handle? weil nach eine Menge ausprobieren, ich festgestellt das die 3 Steine und ein Riemen mit Polierrot für mich die beste Ergebnisse erzielen lassen. Ob meine Messer unglaublich scharf und unglaublich sanft sind weiss ich nicht, aber sie rasieren gut, und das langt mir. Natürlich ist es nicht falsch, auf andere Methoden zu greifen - viele Wege führen nach Rom, aber es kann Spass machen, verschiedene Sachen auszuprobieren, und um der berühmte Bartenträger Frank Zappa zu zitieren: "The mind is like a parachute, it works best when it is open".

Gruß

Iltis
de gustibus, aut bene aut nihil

Sapone da Barba

Iltis, das klingt sehr interessant, was Du da bezüglich Zahpasta und Kosmetikspiegel schreibst.

Wie oft mußtest Du damals Dein Messer nachschärfen? Alle drei Wochen, zweimal im Jahr oder wie häufig halt? Würde mich echt interessieren.

Iltis

#7
Dazu gehört eine Geschichte das ich gerne nochmal erzähle.

Mein erstes Rasiermesser kaufte ich mit ca. 15; in der englische Stadt wo ich aufwuchs gabe es ein Eisenwarenladen der alte Schule - neben Nägel und Schrauben das man in Unzen und Pfund kaufen konnte gab es auch Tafelbesteck, Gärtnergeräte, Ratten- und Maulwurffallen, Taschenmesser und... ein einziges Rasiermesser der Marke "Crown and Sword (dürfte hier nicht unbekannt sein :)). Dieses Rasiermesser habe ich garantiert ein halbes Jahr geliebäugelt und sparte darauf, das Geld das ich samstags durch Golftaschen tragen auf der hiesige Golfplatz verdiente. Irgendwann war es soweit, ich hatte das Geld (ich glaube, 18 Pfund, damals für ein 15jährige ein halbes vermögen) und ging in den Laden - zu meinen grosse Überraschung verkauften sie mir das Messer ohne zu fragen "Wissen das deine Eltern?". Natürlich wussten mein Eltern nichts davon, und das war gut so, sonst hätten sie es mir verständlicherweise weggenommen.
Meine erste Rasurversuche waren natürlich katastrophal, und irgendwann bin ich auf die Idee gekommen, das das Messer vermutlich nicht scharf genug war und das ich es nachschärfen musste. Aber wie? - von richtigen Schärfsteine hatte ich keine Ahnung, nur war ich mir sicher das der Ölstein das mein Vater für seine Stechbeitel und Hobeleisen benutzte wohl nicht das richtige war. Von mein Vater wusste ich, das in der Zeit der zweiten Weltkrieg Rasierklingen Mangelware wurden, und man half sich insofern, das man stumpf gewordenen Klingen in der Rundung eines Wasserglases mit Zahnpaste als Schleifmittel wieder schärfte. Ich klaute ein kleinen Spiegel aus unseren Badezimmer und schwor blind das ich keine Ahnung hatte, wo sie abgeblieben sei, und experimentierte mit der Zahnpasta das ich sonst 2 mal täglich benutzte (es war Colgate, und schmeckte damals viel strenger als jeder moderne Zahnpasta). Weil der Spiegel zu klein war, und ich von Kreuz- oder gerade Züge keine Ahnung, hatte, schärfte ich mit kreisenden Bewegungen auf der Spiegel, und weil das Messer neu war und eine "vernunftige" Geometrie hatte, gelang es mir irgendwann ihn scharf zu kriegen. Von Haartest und der Gleichen wusste ich nicht, aber ich entdeckte, das es möglich war, wenn man es gut hinkriegte, Armhaare mit dem Messer frei schwebend zu kappen. Die Zahnpaste verdünnte ich mit Wasser bis es etwa so dünn wie Scheuermilch war, und manchmal dauerte es ewig, bis das Messer wieder scharf wurde, also ich began, einmal im Monat "nachzuhelfen" anstatt zu warten das es nicht mehr rasierte. Bis ich mit 19 anfing zu studieren, beherrschte ich das Schärfen, aber wie lange es dauerte, das zu lernen kann ich nicht mehr sagen, es war allerdings ein langes Prozess, was kein Wunder ist wenn man bedenkt, das ich alles autodidaktisch lernen musste. Ca. 2004 entdeckte ich den NRF und erfuhr was ich jahrzehntelang falsch gemacht habe, und mein Maßstab für was "scharf" heisst habe ich um einiges revidiert. Nichtsdestotrotz ist es durchaus möglich, mit Zahnpasta auf ein (lieber sinnvoll proportionierte :)) Spiegel oder Glasplatte ein Rasiermesser auf eine vernunftige Schärfe zu bringen.
Mein erstes Messer habe ich immer noch, und trotz jahrzehntelange "Misshandlung" hat es immer noch sein volle Breite (6/8"). Als ich 2008, 30 Jahre später, meine Mutter die Geschichte mit der Spiegel beichtete, grinste sie und sagte "Gut, das dein Vater" (der vor ein Jahr gestorben war) "das nicht wusste".

Gruß

Iltis
de gustibus, aut bene aut nihil

Sapone da Barba

Sehr schön.

Ich habe es mit viel Freude gelesen. Von solchen Erfahrungen und Erinnerung lebt das Forum. Daß man früher sogar Klingen mit einem Glas und Zahnpasta geschärft hat, wußte ich noch garnicht. Wieder etwas gelernt.

Das ist erzählte Geschichte. Ein Messer, welches eine solche Geschichte hat, ist was Besonderes, so finde ich.

Vielen Dank!!!

Senser

Zitat von: Iltis am 11. August 2015, 21:57:43
... das in der Zeit der zweiten Weltkrieg Rasierklingen Mangelware wurden, und man half sich insofern, das man stumpf gewordenen Klingen in der Rundung eines Wasserglases mit Zahnpaste als Schleifmittel wieder schärfte. ...

genial  dh:

übertragen wir das mal aufs Messer: Kölsch Stange und Schleifpaste zwecks Erzeugung eines zweiten Schleifwinkels ;D

Gruß Senser

Zebulon

@Iltis:
Danke für diese herrliche Geschichte aus Deinem persönlichen Nähkästchen! Man kann den damaligen Zeitgeist förmlich wieder spüren und ich glaube jeder hat so einen kleinen verschwundenen Spiegel, über den er nichts verraten hat. Deshhalb kann man da so schön mitfühlen...... Danke dafür!

Viele Grüße
Peter
Bekennender und praktizierender Nordhesse und Messerer! ;D

doorsch

Ich für mich persönlich halte nichts vom Pasten (ohne Negativbewertung), ich finde es aber immer wieder toll wieviele Möglichkeiten und Wege es gibt ein Messer instand zu halten....dazu gehören so Themen wie die Zahnpasta Thematik und natürlich auch Kieselerde und Co....

Wastl hatte ja auch schon so einiges zu den "alternativen" Methoden hier gezeigt bzw. beschrieben!

Zusätzlich einen Aufrichtigen Dank, Iltis für deinen Beitrag !! Eine wirklich toller Bericht den ich mit großem Interesse gelesen habe.. dh:

Ich finde immer das jeder seinen Weg finden muss, es gibt keinen "idealen" oder den "besten" Weg sondern der Weg der einem persönlich am besten gefällt ist den den man gehen sollte.....


mikri

Sehr schöne Anekdote Iltis  dh:
Mit Verarzten dauert's länger

http://nassrasieren.blog

wernerscc

Super Iltis,
ich hab mein erstes Rasiermesser erst mit Hilfe des Nassrasurforums scharf bekommen.

Im Sinne des offenen Falschirms hab ich mir gestern auch mal die 5er, 3er und 1er 3M Schärffolien bestellt. Und was wird als erstes damit geschärftt werden? Mein erstes Rasiermesser, das einfach die Schärfe nicht hält.
Was lange währt wird endlich gut!

Grosser

Danke für die interessante Geschichte und den Einblick in deine Vergangenheit, lieber Iltis!  dh:
Ich musste auch direkt an BastlWastl denken, als ich den Beitrag gelesen habe.

Zum Thema Lapping-Film kann ich leider nichts beitragen, außer dass die Zusammenfassung/ Anleitung gut geschrieben ist und vielleicht dem einen oder anderen den Einstig in's Schärfen erleichtert. Mich würd's freuen!
Viele Grüße, Christoph