Richtung des Lederns relevant?

Begonnen von Cliffwalker, 12. November 2013, 20:12:25

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Cliffwalker

Seit ich vor ein paar Tagen das hier verlinkte Buch "Abhandlung von Barbiermessern" von Benjamin Kingsbury gelesen habe, treiben mich einige Fragen um. In dem Buch werden verschiedene Dinge behauptet, die mir neu waren bzw. die ich bisher zum Teil auch ganz anders gehört habe. Ich möchte hier der Übersichtlichkeit halber nur auf einen Punkt eingehen, nämlich die Richtung des Lederns.

Kingsbury unterscheidet hier drei grundsätzliche Arten des Lederns: das gerade Streichen; das schräge Streichen vom Heft in Richtung Spitze; das schräge Streichen von der Spitze in Richtung Heft. Er empfiehlt hierbei mit Nachdruck die dritte Methode, also das Streichen von der Spitze in Richtung Heft hin. Hintergrund der Sache ist, dass dabei die feinen Zähnchen an der Schneide schräg in Richtung Erl/Heft hin ausgerichtet werden sollen und damit eine Art Sägewirkung erziehlt werden soll, wenn das Messer im leichten "Schrägschnitt" (dann vermutlich mit der Erlseite voran und der Spitze weiter hinten?) durch den Bart gezogen wird.

Das klingt ansich recht einleuchtend, aber funktioniert dieses Prinzip wirklich? Schneidet ein Rasiermesser tatsächlich besser in die Richtung, in welche die Zähne durchs Ledern ausgerichtet werden? Sämtliche Anleitungen zum Ledern die ich kenne, lehren ja das Streichen vom Heft in Richtung Spitze, also genau entgegengesetzt und so habe ich es natürlich auch gelernt und bisher praktiziert.

Eure Meinung zu dem Thema würde mich sehr interessieren.

Piraten-Papa

#1
Interessantes Thema. Die Theorie klingt irgendwie logisch, da z.B. die Verzahnung von Handsägen ja auch entweder auf Stoß oder auf Zug gefeilt ist. Ich persönlich ziehe beim "vom Körper weg" vom Erl zum Kopf und beim "zum Körper hin" vom Kopf zum Erl. Das ist aber eher der Tatsache geschuldet, daß ich ein fauler Sack bin und mir die Fuchtelei mit dem Kreuzzug zu doof ist.

Tim Buktu

Mir gefällt die Vorstellung nicht, dass ich mir den Bart "absäge". Wenn ich mich an die letzte hier im Forum gezeigte Mikroskopaufnahme einer Schneide mit dem dazugehörenden geschnittenen Barthaar erinnere (leider finde ich das Bild auf die Schnelle nicht), sah weder das Haar gesägt, noch die Schneide nach Sägezähnen aus. Ich stelle mir auch vor, dass eine mikrogezahnte Schneide eher aggressiv rupft (aufgrund des geringen quer zum Barthaar verlaufenden Sägewegs), als sanft sägt.  :-\
Tranquilo - In der Ruhe liegt die Kraft...

PS: Alles nur meine persönliche Meinung, die sich durchaus beeinflussen lässt und sich deshalb gelegentlich auch ändert!

kimeter

@Tim Buktu
ich vermute du meinst das Bild aus dem Thread: "Was ein Rasiermesser leistet"." Im übrigen stimme ich deinen Ausführungen zu...

-Andreas

harrykoeln

Kingsbury, Benjamin: "A treatise on razors" wurde 1810 veröffentlicht.
Ich liebe es auch, in solchen, 200 Jahre alten Schriften zu lesen. Sie lassen sich gut lesen und auch verstehen, denn es ist naheliegend, das solche Lektüre nicht von Fachfremden gelesen wird, sondern aus purem Interesse von Hobby-"Fachkundigen". Teilweise sind sie spannend wie ein Krimi, sind kurzweilig und vermitteln, wie in dem Falle hier, das "State of the Art". Aber eben das von vor über 200 Jahren und das sollte man bitte immer im Hinterstübchen halten.
Das die dort beschriebenen Dinge zum Denken anregen oder Aspekte für neue Experimente und/oder Untersuchungen liefern, Klasse. Doch würde ich mich davor hüten, Ergebnisse daraus, blind 1:1 ins Heute zu übernehmen.

Wir wissen nicht, wie der Herr Kingsbury zu diesen Aussagen gekommen ist, welchem Zweck die Untersuchung diente, wer Auftraggeber war und wer das bezahlt hat. Auch nicht, welche Messer er verwendete, noch wie sie für diese Untersuchungen vorbereitete und wie genau diese anschließende Untersuchung aussah.

Interessant wäre aber ganz sicher, was herauskäme, wenn eine ähnliche Untersuchung mit den heutigen Materialien und mit beispielsweise Nakayama gefinishten Messern durchgeführt werden würde... 


PS. Wenn ich solche alten Hündchen lese, finde ich die Entwicklung der Sprache immer geradezu faszinierend.

In diesem Sinne...
"The two most common things in the universe are hydrogen and stupidity.
There is more stupidity around than hydrogen, and it has a longer shelf life."
Frank Zappa (1940-1993)

Cliffwalker

Heißt das, ihr glaubt, dass die Schneide eines Rasiermessers nicht aus vielen Zähnchen (und mögen sie auch noch so mikroskopisch klein sein) besteht, die durch das Ledern wieder auf- und gleichgerichtet werden? Oder haltet ihr nur den Effekt einer möglichen Sägewirkung für vernachlässigbar gering?

Es ist jetzt nicht so, dass ich Kingsburys Ansichten teile, aber nur weil seine Erkenntnisse/Ansichten 200 Jahre alt sind, müssen sie ja nicht zwangsläufig veraltet oder überholt sein!?

Zitat von: harrykoeln am 13. November 2013, 10:45:01
PS. Wenn ich solche alten Hündchen lese, finde ich die Entwicklung der Sprache immer geradezu faszinierend.

Ja, in so alten Büchern zu lesen ist auch für mich immer eine besondere Freude!   :D

Piraten-Papa

Zitat von: Cliffwalker am 13. November 2013, 19:22:49
Heißt das, ihr glaubt, dass die Schneide eines Rasiermessers nicht aus vielen Zähnchen (und mögen sie auch noch so mikroskopisch klein sein) besteht, ...

Doch, glaube ich schon. Hier gibt's auch die passenden Bilder dazu. Inwiefern das Leder die Zähnchen hin- und herbiegt, weiß ich allerdings nicht.

Rockabillyhelge

Naja, also grundsätzlich glaube ich schon das durch das Ledern ein gewisses Sägezahnmusster aus der Facette gefranst wird welches dann
schneidtechnisch zum tragen kommt.
Allerdings wage ich einmal zu behaupten das Kingsburrys Erkenntnisse/Vermutungen durch Erfahrungswerte und gängige, jedoch nicht verifizierte Meinungen geprägt sind, soll heissen, sie bieten einen guten Einblick in die damalige Welt sind aber auf unsere heutige Zeit nicht durchgängig anwendbar.
Bedenkt man das Kingsburry noch nicht mal eine ausreichende Lupe/Mikroskop hatte um bei den damaligen, vornehmlich derben Messer seine Thesen zu überprüfen brauchen wir glaube ich nicht weiter nach tieferer Erkenntnis sonderen eher nach subjektiver Erfahrung suchen.
Kingsburry beschreibt das Verhalten einer Art von Messer und deutet es nach seiner Vorstellungen / Erfahrungen, dieses mag nicht falsch sein, aber solange es nicht wissenschaftlich (sprich Lupe, Standarsbedingungen, Mikroskop) verifiziert ist, ist es wenig wert.
Erfahrungswerte (siehe Bauernregeln) müssen nichts zwangsläufig schlechter sein als gesichertes Wissen, aber wenn einzelne auf Erfahrung beruhende Thesen hervortreten die schlichtweg sehr alleine stehen (kenne sonst keinen literarischen Vermerk dieser Richtung des Lederns) dann sind Zweifel durchaus gerechtfertigt und es empfiehlt sich zur Wahrheitsfindung das wissenschaftliche Experiment bzw. eine Testreihe.
Auch mit Bart immer gut rasiert :)

doorsch

ZitatKingsburry beschreibt das Verhalten einer Art von Messer und deutet es nach seiner Vorstellungen / Erfahrungen, dieses mag nicht falsch sein, aber solange es nicht wissenschaftlich (sprich Lupe, Standarsbedingungen, Mikroskop) verifiziert ist, ist es wenig wert.
Helge das finde ich nicht, sicherlich muss einiges einfach auf Vorstellungen und Erfahrungen aufgebaut sein, aber die Aussage dieses Wissen sei ohne verifiziert zu werden "wenig Wert" kann ich so nicht teilen. Es gibt einiges an Wissen was heutzutage aktuell angewandt und auch teilweise neu ausgegraben wird, dessen Herkunft und Quellen ganz sicher aus diesen "alten" Büchern/Lektüren bezogen wurde....manch einer weiss sicherlich keinen aktuellen Bezug hierzu zu finden....

Was der Fall die Richtung des Ledern angeht, würde ich einfach mal ins dunkle sagen glaube ich nicht und kenne ich bisher keinen der sich aktuell "ausgiebig" und hier kommen wir wieder zu deiner Aussage, eine Testreihe oder einen Versuch durchgeführt hat (zumindestens nicht so das es aktuell in den Foren veröffentlicht wird)

Ich werde im eigenen Interesse das auf jeden Fall mal ausprobieren....

Rockabillyhelge

@doorsch: Hehe, ich glaube du hast meinen Ansatz falsch verstanden, bzw. habe ich mich etwas zu ungenau geäussert.
Es ist auf den Nachvollziehbaren Gehalt an Information wenig wert, soll bedeuten, es funktioniert aber keiner weis warum und ob
es sich auf andere Sachverhalte anwenden lässt, die verständliche physikalisch-technische Erklärung fehlt einfach und somit
ist Kingsburrys Erfahrung nur eine Erfahrung aber wir wissen nicht wodurch sie zustande kommt und auf welche anderen Probleme,
Sachverhalte sie sich anwenden lässt, dafür brauchen wir neben der Theorie (die Kingsburry ja schon vorgibt) die Verifizierung
oder Falsifizierung jener durch
a. die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse (Experiment)
b. die Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit auf andere Sachverhalte (z.B. Küchenmesser) sowie
c. einer fassbaren naturwissenschaftlichen Formulierung z.B. durch eine Formel.

Ich möchte nochmal darauf hinweisen das Kingsburry ausser Erfahrungswerte nichts großartiges beiseite stand (man bedenke die
Situation vor über 200 Jahren) und die Messer der damaligen Zeit auf vor-industriellem, sehr individuellen Niveau waren, ich halte
seine Erfahrungswerte zwar für überprüfbar, aber im Licht heutiger Materialkunde/-wissenschaft lediglich als einen Hinweis und
nicht als eigenständig tragbar.
Zur damaligen Zeit wurde vornehmlich im Bereich der Erfahrung gearbeitet, heute (oder besser jetzt auch schon seit über 100 Jahren)
wird auch bei Rasiermessern nicht mehr ohne Theorie und wissenschaftlichem Hintergrund gearbeitet und geplant (man denke allein an
den Prozess des Härtens und das Auskristalisieren), das soll Nicht (!) bedeuten das Erfahrungswerte auch wenn sie nicht über-
prüft wurden keinen Wert haben oder nicht von Bedeutung sind! Die Bedeutung von Erfahrungswerten ist immanent, was jeder Schleifer
und Schmied bestätigen wird, allerdings lassen sich diese Erfahrungen auch wissenschaftlich fassen, was bei Kingsburrys Erfahrungen
noch(!) nicht der Fall ist.
Auch mit Bart immer gut rasiert :)

doorsch

Möchte den Thread nochmal um folgende Lektüre von 1863 ergänzen
Gewerbezeitung ,,Organ für die Interessen des Bayrischen Gewerbestandes
No. 12, Dreizehnter Jahrgang, 1863

Quelle ist hier google books:
Über das Streichen der Rasiermesser:
Die gewöhnliche Verfahrungsart beim Streichen oder Abziehen des Rasiermesser auf dem Abziehriemen besteht bekanntlich darin, daß man – nach der Andeutung der fig. 1 und 2 – zuerst das Messer in der Lage A auf den Riemen legt und beim Fortstreichen dasselbe zugleich in der Richtung nach der Schale zu quer über den Riemen zieht, so dass es am Ende des Striches in B sich befindet. Zum Streichen der anderen Seite wird es dann umgekehrt wie C, aufgelegt und in die Lage D geführt. In dieser Weise wechselt man ab, wobei also stets das der Schale am nächsten liegende Ende der Schneide zuerst, und das vordere Ende zuletzt den Riemen berührt.
 
Der berühmte Instrumentenmacher Charriere zu Paris empfiehlt nun, nach seiner und anderer Erfahrung, die entgegengesetzte Methode, s. fig. 3 und 4. Das in A mit dem vorderen Ende aufgelegte Messer wird nach B hinausgeschoben, und eben so beim Streichen der anderen Seite in C aufgelegt und nach D fortbewegt, in dem jedes mal die Querbewegung in der Richtung von der Schale nach dem vorderen Ende hin stattfindet, d.h. letzteres vorrausgeht statt zu folgen.

Durch dieses Verfahren erlangen die Messer eine besonders gute Schneide. Um die Erklärung dieses Erfolges kann man nicht verlegen sein, wenn man sich erinnert, dass selbst die allerfeinste, mir der äußersten Sorgfalt zugerichtete Rasiermesserschneide nicht eine unterbrochene Schärfe, sondern nur eine Reihe höchst feiner Zähnchen sein kann.

Nach vorgenommener Untersuchung verschiedener Rasiermesser unter dem Mikroskop, bei 300facher Vergrößerung, kann man die Anzahl solcher (freilich sehr unregelmäßiger) Zähnchen zu etwa 6000 in 1 Zoll Schneidlänge schätzen; Sie entstehen Theils in Folge der natürlichen Porosität, welche dem Stahle wie jedem anderen Körper in Gewissem Grade eigen ist, hauptsächlich aber durch die außerordentlich feinen Ritzen, welche selbst die zartesten Theilchen der auf dem Streichriemen getragenen Polierpaste hervorbringen müssen. Vermöge der in Rede stehenden Zähnchen gleicht die Messerschneide streng genommen einer Säge von unbeschreiblicher Feinheit. Wird nun im Streichen – wie beim hergebrachten Verfahren – Das Rasiermesser in der Richtung nach der Schale hin zurückgezogen, so müssen die Spitzen der Zähnchen mehr oder weniger gegen das vordere Ende der Klinge hin stehen; nach der neuen Methode empfangen Sie die entgegengesetzte Stellung. Berücksichtigt man ferner, dass beim Rasieren das Messer mehr oder minder nach der Richtung seiner eigenen Länge gezogen wird (zugleich mit der Querbewegung gegen das Barthaar), so kann man sich von dem Einflusse der beiden beschriebenen Methoden des Streichens eine Vorstellung machen. Nach der alten Weise abgezogen ist das Messer einer Säge zu vergleichen, mit welcher man so schneiden wollte , dass die Schräge Seite der Zähne vorrausgeht und die Spitzen nachfolgen; jedermann weiß das eine Säge bei dieser Bewegung so gut wie nicht schneidet. Das nach der neuen Methode gestrichene Messer hingegen verhält sich beim Rasieren wie eine Säge, die man zum Schnitte bewegt, wie es üblich ist, nämlich so, dass die Steile Seite und die Spitze der Zähne vorrausgeht.  
Charriere empfiehlt auch, das Messer mehrmals nach einander auf derselben Seite zu streichen und dabei stark aufzudrücken. Beides wiederspricht zwar dem, was allgemein beobachtet zu werden pflegt, verdient aber nichts desto mehr Nachahmung.

Zum Schlusse möge noch die auch sonst schon bekannte Regel:
Den letzten Strich auf dem Riemen immer nach dem Griffe hin, also wie in fig. 3 (nach der alten Art wie in fig. 2) zu machen erinnert werden, hierfür liegt ein wichtiger Grund vor. Beim Abziehen bildet sich immer ein Grat, welcher – so gering er auch sein mag – der Schneide schadet, wenn er auf jener Seite des Messers aufgeworfen ist, die beim Rasieren von der Haut abgewendet bleibt. Nun erkennt man leicht, das der Grat notwendig jedes mal nach der Seite hin steht, welche das Leder nicht berührt, aber seiner außerordentlichen Feinheit wegen durch den nächsten entgegengesetzten Strich vertilgt und in einen entgegensetzen verwandelt wird. Endigt man das Abziehen damit, das der letzte Strich mit dem Messer vom Griffe des Riemens gegen das freie Ende desselben gemacht wird, so bietet die Schneide (vorausgesetzt das man mit der rechten Hand rasiert) eine Rundung der Haut dar und das Messer muss schlecht schneiden.  

Wird hingegen der letzte Strich beim Abziehen gegen den Griff des Riemens hin geführt, so kommt beim rasieren diejenige  Fläche des Messers, wo der Grat aufgeworfen ist, auf die Haut zu liegen, und das nämliche Messer  wird demnach sich als gut schneidend erweisen, wenn nur sonst alle in Ordnung ist.


doorsch

#11
Finde auch die Theorie der Grat (Abknickung) auf der abgewandten Seite des Leders interessant, und habe das natürlich probiert, habe hier persönlich für mich keinen wesentlichen Unterschied feststellen können.....

Lustig ist das die gleichen Beschreibungen und Fomulierungen in ähnlichem Wortgewand immer wieder in den Lektüren zwischen 1800-1900 auftauchen...man hat auch zu diese Zeit schon gerne mal kopiert :-)

lesslemming

#12
Ein gut geschärftes Messer hat keine Zähnchen. Beweis:



Die Bilder zeigen ein von mir geschärftes Messer mit einer Vergrößerung von knapp 20.000 (zwanzigtausend) Fach (REM).
Logischerweise bleiben alle rechte an den Bildern bei mir. Bitte vor Verwendung bzw Verbreitung mit mir sprechen,
Sonst gibt es Schläge auf die nackte Eichel!
..:: Wer mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht ::..
..:: bekommt nie eine frische Unterhose ::..

doorsch

@leslemming: mhh link funzt nicht...kannst Du noch mal schauen

lesslemming

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