Vintage Pinsel

Begonnen von Oberloser, 30. November 2012, 19:24:06

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Oberloser

Vielen von uns mögen benutzte Pinsel suspekt sein; irgendwie ein wenig wie getragene Schuhe oder benutzte Zahnbürsten, man kauft sie eher nicht.
Es gibt aber Ausnahmen, etwa wenn die Zahnbürste von Elvis benutzt wurde, die roten Pumps von Marilyn bei ihrer Hochzeit mit Arthur Miller getragen wurden oder der Pinsel vom geliebten Großonkel stammt.

Deswegen habe ich diesen Thread ins Leben gerufen, damit hier Erbstücke, Flohmarktfunde, Ebayschnäppchen - benutzt oder NOS - oder sonstige, liebgewonnene alte Schätzchen einen Platz finden und damit die Erinnerung an eine Zeit wecken, als es noch nicht unbedingt ein 2Band mit extrem langer Bindung oder ein 3 Band D01sein musste.
Aber auch vor dem Hintergrund, dass  Mühle gerade sehr schöne Retromodelle in die Produktion genommen hat, dürfte es sehr interessant, ein paar von deren Vorbildern vorzustellen, die sich durchaus noch mit ihren Replikas messen können.

Oberloser

Beginnen möchte ich mit diesem schönen NOS-Pinsel, über dessen Neuerwerb ich mich sehr gefreut habe........:)  Ich suchte schon ewig lange etwas Passendes zu meiner (noch unvollständigen) DDR-Hobel-Sammlung und ärgerte mich am letzten Tag der deutschen Einheit, keinen adäquaten Pinsel zu meinem schönen Golf Hobel präsentieren zu können. Aber das ist jetzt vorbei  :D

Das erste Bild stammt nicht von mir, sondern wurde mit Genehmigung dem Ebay-Link entnommen. So habe ich Herrn Mühle aus dem VEB Bürstenwerk Schönheide kennen gelernt und auch aus seinem bescheidenen Transportmittel ausgepackt. Wir haben uns erstmal beschnuppert und er roch unverkennbar nach Dachs. Möglicherweise wurde er vor der Verstaatlichung 1973 hergestellt, denn er macht einen erstaunlich wertigen Eindruck. Nicht der geringste Seifenrest oder gar -duft, auch nicht aufgepilzt, so dass ich davon ausgehe, das der Gute noch nie nasse Haare hatte. Ich bin nicht unbedingt der Pinsel-Fachmann, aber für ich sieht das ziemlich eindeutig nach NOS aus.




Also erstmal ab in ein ausgiebiges Shampoo-Schaumbad, danach eine Aufschäumprobe mit Erik`s Tabula Rasa, die angeblich am schnellsten den Dachsgeruch entfernen soll, eine Duftprobe und........er stinkt noch schlimmer nach Dachs als vorher  :o  imho noch ein Hinweis auf den Neuzustand........UND........... man sieht auf diesem Bild im Vergleich zum oberen recht gut den jetzt leicht aufgepilzten Zustand.




Hier mal neben seinem 30 Jahre jüngeren, sichtlich wohlhabenderen Bruder. Ich habe den Eindruck, er ist etwas kürzer gebunden und hat im Vergleich zu dem Jüngeren einen erstaunlichen Backbone. Respekt! Was zum Rasierseife aufschlagen - so kernig hatte ich Mühle gar nicht in Erinnerung  :o




Hier mal mit einem zeitgenössischen Rasierwerkzeug. Was mich ein wenig verwundert, ist die Aufschrift "Made in DDR", die ich so noch nie gesehen habe. Imho war da zumeist "Made in GDR"  zu lesen oder ein Hinweis auf den herstellenden VEB!? Für mich ein weiteres Indiz auf eine mögliche Produktion vor der Verstaatlichung.




Zum Abschluß ein Stillleben mit diesen beiden schrägen Vögeln,  ;) die ich zwecks erkennungsdienstlicher Behandlung erstmal an Harzer schicken müsste. Ich bin mir sicher, der kann mir sachdienliche Auskünfte zu den Beiden geben und hat (wie ich ihn kenne) selbstverständlich auch den Pinsel  ;D





Meine entsprechende Anfrage bei Herrn Müller von Mühle nach näheren Informationen zum Produktionsdatum wurde von diesem wie folgt beantwortet:

.......vielen Dank für Ihre nette Nachricht und die interessanten Bilder. Der Pinsel wurde in den Jahren 1968 bis 1975 produziert. Unser Firma wurde 1973 verstaatlicht: Somit kann der Rasierpinsel sowohl vor als auch nach der Verstaatlichung hergestellt worden sein.

Allerdings bestand damals noch keine Verbindung zum "VEB Bürstenwerke Schönheide". In dieses Kombinat wurde die Firma erst 1980 eingegliedert.

Die Bezeichnung "Made in DDR" war meiner Recherche zufolge üblich und wurde erste später auf "Made in GDR" geändert. Das Logo war eine Weiterentwicklung des ursprünglichen Firmensignets und wurde in dieser Form von einem Chemnitzer Grafiker gestaltet. Der Griff des Rasierpinsel wurde im thüringischen Schmölln gefertigt.

Gefertigt wurden diese Pinsel etwas anders als heute, allerdings hat das keine Auswirkungen auf den "Backbone". Dieser ist vorrangig abhängig von der Haarqualität, der Dichte des Haares und dessen sogenannter "Auslage". Hier gilt es immer unter Abwägung aller Faktoren einen guten Kompromiss zu finden. Eine höhere Dichte ist problemlos machbar, hat aber neben einem höheren Preis (mehr Material) oft auch zur Folge, dass der Pinsel nicht richtig durchtrocknet und der Pinsel früher oder später Haare verlieren kann.

Ich hoffe, die Informationen helfen...


Rockabillyhelge

Eine schöne Kombi,
den Pinsel habe ich leider nicht, dafür den Brillant Deluxe Torsion, ein wunderbarer Rasierer.
Da muss ich ja morgen mal meine Vintage Pinsel abphotographieren  :)
Auch mit Bart immer gut rasiert :)

Oberloser

Ich wusste bis vor kurzem gar nicht, dass zumindest in der sozialistischen Vergangenheit in Stützengrün neben Mühle noch weitere Betriebe mit der Herstellung von Rasierpinsel existent waren. Das änderte sich erst, als ich auf diesen echten Deutschen Demokratischen Dachshaarpinsel aus der Stützengrüner Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) gestossen bin.

Seine Haare wurden im Rahmen der brüderlichen Kooperation des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) aus dem weiten Land östlich des Ural importiert. Am fernen Flusse Jennissei starb der Dachs artgerecht im Tellereisen, um dann in einem Güterwagen der Transsib Richtung Westen zu reisen. Bei Brest-Litowsk gab es eine kurze Pause und neue Radsätze, da das Zarengleismaß ab hier nicht weiter galt. Bei Guben wurde die Neiße überquert und irgendwann im Morgengrauen öffnete sich der Wagenverschlag und frische, vogtländische Luft strömte in den Wagon. Sechs Wochen später war der Dachs in Stützengrün aufgeteilt in zwanzig Pinsel. Achtzehn davon wurden in das NSW (Nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet) exportiert und kosteten bei Neckermann 1,20 DM. Zwei blieben zurück, sie waren fehlerhaft. Einen davon bekam der Bezirksparteisekretär zum 20. Jubiläum in der Betriebskampfgruppe, der andere ging unter der Hand an einen Fliesenlegermeister der PGH "Frohe Zukunft". Der tauschte ihn für ein Ersatzteil am Wartburg. Sein Autoschlosser wollte heiraten und brauchte ein kaltes Buffet. Daher wanderte der Pinsel schließlich an die Köchin der HO Gaststätte "Deutsches Haus", welche noch ein Geschenk für ihren Mann brauchte.

Dann kam die deutsche Einheit und der Pinsel verschwand in der Schublade. Die Familie der Köchin lebt längst in Kaiserslautern. Nach dem Tod der Schwiegereltern wird das heimatliche Erbe aufgeräumt und der Pinsel taucht auf. Eine Firma für Haushaltsauflösungen transportierte den Pinsel zusammen mit 250 kg Bettwäsche ab. Irgendwann taucht der Pinsel bei Ebay auf..........

Und hier ist er nun!

........ die Verpackung ist ein wenig ramponiert......das Bliesterpapier zerfetzt, wen wunderts ob dieser Vita.....






Erst der Vergleich mit seinem Bruder, ebenfalls aus Stützengrün macht die Größenverhältnisse deutlich. So klein ich ihn mir gar nicht vorgestellt  :D der macht glatt dem WeeScott ernsthafte Konkurenz !! Und einen Backbone hat der Kleine... :o  Was auffällt: Kein "Made in DDR/GDR" - nur dieses kleine Abziehbildchen mit dem Bürstenmann-Logo, das war`s  :-\
.



Die Größenverhältnisse werden bei diesem Vergleich mit einem weiteren Cousin aus Stützengrün noch deutlicher....



mikri

Ganz toller Faden, ganz tolle Pinsel und die Geschichte über die Geschichte ;) ohlala ;)
Mit Verarzten dauert's länger

http://nassrasieren.blog

lotse

Hallo!

Ich möchte an dieser Stelle einen Pinsel präsentieren, von dem ich jahrzehntelang nichts wusste, obwohl wir uns hätten begegnen müssen. So nah und doch so fern...
Schließlich entdeckte ich ihn und es war Symphatie auf den ersten Blick. Der schicke 2Band Griff und die blonden Borsten stimmten mich milde, so daß ich ihm Asyl gewährte.
Seine Daten:

Höhe: 95 mm / Loft: 55 mm / Ringmaß: 20 mm





Seine Vita ist mir unbekannt, jedoch glaube ich zu erspüren, daß das ein Pinsel speziell für die Werktätigen der Land- und Forstwirtschaft war. Vielleicht nur ein Vorserienmodell, welches unter dem Arbeitsnamen "Waldemar" entwickelt wurde, dann aber nicht in Serie ging, weil die VR China nicht die nötigen Borsten liefern konnte, da es zu einer politischen Verstimmung gekommen war, welche nie öffentlich wurde. Der Generalsekretär der SED hatte bei einem Besuch der VR China die chinesischen Schweine gelobt, was durch einen Übersetzungsfehler aber dem Genossen Deng übel aufstieß. Daraufhin wurde die Schweineborstenlieferung an die DDR ausgesetzt und das Kollektiv "Waldemar" fertigte fortan grüne Zahnbürsten für die Werktätigen der Land- und Forstwirtschaft.

Tja, so einfach sind manchmal die Zusammenhänge...

LG Lotse


Rockabillyhelge

#6
Heute erst fertig gemacht und mein erster erneuerter Pinsel überhaupt, der Ever Ready 300Pbt, bestückt mit 16mm F2 Finest.
Ausprobiert habe ich ihn noch nicht (der Kleber ist noch am trocknen), aber morgen kann ich mich dann stilecht zur 50er Jahre
Rasur einfinden.
Habe den Pinsel (Griff) von einem guten Freund aus den USA welcher sich damit in seiner College Zeit von 1957 - 1964 einschäumte,
daher wird er in Ehren gehalten  :)




Auch mit Bart immer gut rasiert :)

lu20vt

Beeindruckende Pinsel !!   dh: ;D :o

OldSalt

Ja, alles ganz tolle Sachen und vor allem die Geschichten dazu. Herrlich.