Anfängermesser / wozu Hohlschliff

Begonnen von passer, 28. Januar 2010, 22:12:25

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harrykoeln

#15
Mit den Hohlungen, das ist schon so eine Sache.

Vom Rücken kommend tailliert, in den Wall verdickt, dünn auslaufend bis zur Schneide.

Die hohe Kunst ist in der Tat, diese Taillierung so dünn wie möglich herauszuarbeiten, das so, das die Klinge noch genügend "Stand" hat. Der Fachmann (und ich durfte da Herrn Wacker das eine oder andere Mal über die Schulter schauen) macht den von Senser beschriebenen Nageltest. Die Klinge wird mit der Schneidfacette auf den Daumennagel gelegt und sanft angedrückt. Die Facette beult sich dann elastisch aus (Perlchen wird die Beule genannt). Ziehst Du die Facette dann über den Nagel und veränderst den Druck auf den Nagel nicht, darf sich das Perlchen über die gesamte Breite nicht signifikant verändern. Ich sage bewußt Fachmann, Du solltest es schon einmal gesehen haben, wie es aussehen sollte und ein bißchen Übung kann da auch nicht schaden.
Das ist das erste Qualitätsmerkmal eines Hohlschliffs.
Das Zweite ist der oben schon erwähnte Stand der Klinge. Ist die Taillierung zu dünn geraten, dann bekommst Du keinen gescheiten Abzug ans Messer weil es ua auf den Steinen nicht genug Widerstand bietet und sich von der Steinoberfläche wegbiegt.
Diesen Stand kann Mann prüfen, in dem Mann die Daumenkuppe auf den Ecke legt, wo der Kopf in die Schneide übergeht und sie sanft nach unten drückt. Die dafür notwendige Kraft kann dem Fachmann die gewollten Informationen geben, dazu brauchts aber schon einiges an Erfahrung und mehr als hilfreich ist einmal ein zu dünnes Messer in Händen gehalten zu haben, das macht den Vergleich einfacher.
Das dritte Qualitätsmerkmal ist der Klang der Klinge.
Klingenspitze (Kopf geht über in die Schneide) zwischen Daumennagel und Nagelbett nehmen und wie ne Saite "anschnippen". Der Klang sollte harmonisch und rund sein, je länger anhaltend, je besser. Keinesfalls scheppernd.
Ein viertes Qualitästsmerkmal ist die Geometrie des Walls.
Wie ausgeprägt ist er?
Das ist von Interesse, weil nur im Bereich des Walls kann das Messer nachgeschärft werden. So hab ich 4/8 Schulzes, die hauchdünn ausgeschliffen sind, von ausgezeichnetem Stand und einem Wall, der fast die Hälfte der Klingenbreite einnimmt. Nicht umsonst waren das bei den Profis so beliebte Messer. Ähnlich wie die Biedermeier, die aus derselben Schleiferei kamen.
Wie breit ist er?
(siehe oben)
Verläuft er gerade?
Wurde sauber gearbeitet und wurden gut arbeitende Schleifsteine genutzt.  

Ist er gleichmäßig ansteigend und wieder abfallend?
Ist er hier gleichmäßig, dann wurde der Wall sehr oft gespalten, ein Zeichen dafür, das der Hohlschleifer sein Handwerk beherrschte. Dieses Spalten besagt: Der Wall ist ja bekanntermassen eine Rundung. Die Rundung bekommste aber mit den Schleifhexen nicht hin, sondern musst Dich der Rundung nähern. Das kannst Du Dir im Querschnitt vorstellen, wie Du Dich über ein Sechseck, ein Achteck, Zwölf-, Sechzehneck so langsam der Rundung näherst. Und je feiner dieses Spalten geschieht, desto gleichmäßiger der Wall.

Das sind so die "Schnelltests", denen Mann mit ein bißchen Übung nen Hohlschliff unterziehen kann und einiges an wertvollen Informationen mit wenig Aufwand erreicht.

"The two most common things in the universe are hydrogen and stupidity.
There is more stupidity around than hydrogen, and it has a longer shelf life."
Frank Zappa (1940-1993)

Kirk

Was mir noch von meiner Anfängerzeit in Erinnerung ist, dass die vollhohlen fehlerverzeihender sind als die derben. Im Speziellen beim Ansetzen hab mich mir mit den derberen den einen oder anderen Schnitt zugezogen, so schnell kann man gar nicht schauen. Prinzipiell bin ich aber der Meinung, wenn man kein gänzlicher Grobmotoriker ist und sehr konzentriert aber nicht ängstlich od. verkrampft an die Sache herangeht, kann man sich mit nahezu jedem Messer auch als Anfänger rasieren.

@Harry: Da kann man nur staunen über so viel Fachwissen, danke für diese ausführliche Schilderung!

UbuRoy


Pepe

Zitat von: UbuRoy am 19. Februar 2010, 11:14:17
@Harry: Super Beschreibung!!!  dh:

... und wieder so einiges dazugelernt...Dank an harrykoeln  dh:

Senser

Zitat von: Buddel am 18. Februar 2010, 21:58:40
....
Ein Traum von einen Messer. Das Dovo "Prima Klang" das ich letzte Woche zum Schärfen da hatte, kommt nicht mal ansatzweise in diese Region.
....

@ Buddel
Beiden Aussagen kann ich zustimmen. Ich habe es schon mehrmals erwähnt, dass ich das Glück habe, ein "Prima Klang" zu besitzen, welches absolut keinen Vergleich zu scheuen braucht. Auch ich habe schon mehrere davon in Händen gehabt, die ich eigentlich nicht mal geschenkt haben wollte.
Trotzdem kann man, wenn man weiß worauf es ankommt, und wenn man die Möglichkeit hat, aus mehreren Messern eines auszuwählen, unter Umständen eines der besten Messer finden, die heutzutage hergestellt werden.
Aber wo hat man schon die Möglichkeit? Und ich habe einfach Glück gehabt, denn Meines war mein erstes Messer überhaupt, und ein Geschenk von unkundigen Freunden noch dazu. Einfach nur Glück.
Gruß Senser