James Barlow & Sons, Sheffield (Echo u.a.)

Begonnen von redmatze, 08. November 2010, 17:44:46

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Paul II.

Will ich das überhaupt wissen?
Wie hat man denn bitte Hornschalen in diesem Rotton gefärbt?
art isn't about aesthetics, it's about truth and heart

Rockabillyhelge

Hehe, warum solltest du es nicht wissen wollen  ;)?

Die Schalen oder besser gesagt das Horn wurden zuerst gebleicht (z.B. mit Wasserstoffperoxid) anschließend gebeizt (mit Säure) und dann
entweder durch chemische Reaktion gefärbt (gibt da ein paar Cocktails mit den man das machen konnte) oder in pflanzlichen Farbstoffen gekocht
(im gebeizten Zustand sind alle Poren offen, daher ist abhängig vom Farbstoff eine sehr tiefe Färbung möglich).
Auch mit Bart immer gut rasiert :)

Paul II.

o.k., ich hätte da eher, wie bei alten Holzdielen, auf Ochsenblut oder so´n Zeugs getippt  ;D
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Dann möchte ich hier auch einmal mein James-Barlow-Rasiermesser vorstellen.

Mein James-Barlow & Sons stammt sehr wahrscheinlich noch aus der Zeit Ende des 19. Jahrhunderts (die Söhne haben nach dem Tode ihres Vaters 1856 munter weiterproduziert) und war in Frankreich beheimatet. Dort hat es einem Barbier über viele Jahre treue Dienste geleistet, der die französischen Namen seiner Kunden in die Heftschalen eingeritzt hatte. Die ursprünglich dunklen Heftschalen aus Horn sind mit den Jahren inzwischen etwas ausgebleicht. Trotzdem konnte ich noch drei Namen beziehungsweise die Fragmente davon entziffern: Janeau Camille, W. Lego, ... Sircres. Dieses Rasiermesser hat also schon einiges erlebt und lag nicht nur trocken verpackt in irgendeiner Schublade.

Bei meinem Rasiermesser weist die derb ausgefallene Klinge im jetzigen Zustand eine Größe von 13/16 auf. Das Messer wiegt 57 Gramm. Der Klingenkörper ist durch den langjährigen Gebrauch schon reichlich patiniert und wird im Neuzustand größer bemessen gewesen sein, ich denke, dass es ursprünglich ein 7/8-Messer gewesen ist. Durch die während der langjährigen Betriebszeit wiederholt ausgeführten Abzugsprozesse hat sich die Klinge verkleinert.

Mein Rasiermesser ist rasurbereit; ich habe es konventionell abgezogen (1000er, 3000er, 6000er, 8000er, alle Naniwa, GBB, jeweils 2 Lagen Tape). Das Messer liegt bei der Rasur ausgewogen in der Hand und rasiert sehr direkt, hierbei aber sanft und ausgesprochen gründlich.






Die Nachhaltigkeit einer gründlichen Nassrasur zeigt sich 24 Stunden später an nur gering und gleichmäßig nachgewachsenen Bartstoppeln.

Paul II.

WOW  :o
Ganz schön derbes Stück hast du da! Gefällt mir sehr gut!
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Es ist trotz der vorhandenen Derbheit ein ganz ehrliches Arbeitsmesser. Kein Falsch und keine Zicken.
Die Nachhaltigkeit einer gründlichen Nassrasur zeigt sich 24 Stunden später an nur gering und gleichmäßig nachgewachsenen Bartstoppeln.

Iltis

Das ist wirklich ein Messer nach meinem Geschmack - Glückwünsch!
Wie kommst du aber auf Ende der 19Jh? Von Stil her würde ich das Messer ungefähr 50 Jahre früher datieren - derbe Messer nach 1850 kenne ich nur als "Sonderfälle", und der rustikale Form und Oberfläche von deins passt, mMn. gar nicht so spät in die "Sheffield Ära"

Gruß

Iltis
de gustibus, aut bene aut nihil

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Guten Morgen Iltis,

mit der zeitlichen Zuordnung ist das so eine Sache. James Barlow ist ja irgendwann zwischen 1850 und 1860 verstorben. Wenn das Messer aus der Zeit vor 1860 stammen sollte, hätte der Barbier bzw. seine Nachfolger damit über viele Jahre rasiert und der Verschliff der Klinge hätte dann aus meiner Sicht viel größer sein müssen. Ich bin von einer ursprünglichen 7/8tel Klinge ausgegangen, da sie so gerade noch in die Heftschalen gepaßt hätte, ohne an der Facette hervorzustehen. Jetzt ist es eine 13/16tel Klinge. Sie hat Verschliff, das gebe ich zu, vor allem auch diese leichte Rundung an der Klingenspitze. Aber ein von einem Barbier regelmäßig und über viele Jahre genutztes Arbeitsmesser müßte doch viel weiter heruntergearbeitet worden sein. Die Facette ist sehr gleichmäßig, das heißt, die Klinge ist bei ihrer Herstellung an allen Stellen gleichmäßig geschliffen worden, was für eine gute Qualität spricht. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die Herstellungsbedingungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts wesentlich besser waren als vielleicht um 1840 herum. Aber vielleicht liege ich auch falsch und das Rasiermesser ist wirklich schon so alt.

Die Söhne von James Barlow haben ja nach seinem Tode weiter Messer hergestellt. Mir ist nicht bekannt, wie lange sie es taten, ob bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts? Die Nieten sind aus Messing und sehen so aus, als wäre da schon einmal nachgearbeitet worden. Die Heftschalen sind ohne Tadel, verblichen schon aber noch ohne Bruchstellen oder Abplatzungen oder Löcher. Die Heftschalen haben einen Bleikeil. Für mich ist es ein interessantes Messer und ich freue mich, es in meiner Sammlung zu haben, sicherlich keine Schönheit, aber mit einer Geschichte. Und das gibt diesem Messer in meinen Augen einen bestimmten Wert, zumal es früher viele Herren rasiert hat und diese Herren mit der Arbeit des Barbiers zufrieden gewesen sein müssen. Ich setze nun die Rasurtradition mit diesem Rasiermesser fort und habe bisher mit diesem Messer bei meinen Rasuren nichts falsch machen können, es rasierte mich ohne Zicken. Und das freut mich an diesem derben Messer, trotz der Patina, die die Klinge jetzt metallischgrau aussehen läßt.

Wenn Du oder einer der anderen Erfahrungsträger bei alten Rasiermessern mir bei der tatsächlichen zeitlichen Datierung der Herstellungszeit helfen könntet, wäre ich euch richtig dankbar.
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Paul II.

Wenn ich so alte Messer in so gutem Zustand finde, denke ich mir immer, dass es jemandem gehört hat, der damit nicht umgehen konnte und es in die Schublade gelegt hat. Oder nach dem ersten Stumpfwerden nicht wieder geschärft bekommen hat. Oder das Messer geschenkt bekommen hat und es nie benutzt hat. Oder alte Lagerbestände, oder Erinnerungsstücke an den im Krieg gefallenen Mann usw. usf. Die Spuren der Zeit oder der unsachgemäßen Lagerung findet man dann natürlich doch, aber es ist kaum Verschliff zu finden und das ist das Wichtigste! Die Tatsache über den geringen Verschliff würde mich nicht daran hindern das Alter um 1850 einzuschätzen.
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Hallo Iltis und Paul II,
vielen Dank für Eure Einschätzungen. Ich werde den von mir angenommenen Herstellungszeitpunkt für dieses James Barlow auf das Jahr 1850 festsetzen. Ihr habt mir sehr geholfen, denn ich finde es schon schwierig, für ein altes Rasiermesser ein ungefähres Herstellungsjahr festzulegen, wenn man nicht deutliche Anzeichen dafür hat. Dann kann ich mich jetzt in Ruhe mit diesem 164 Jahre alten Rasiermesser rasieren, und es verrichtet seine Aufgabe immer noch überaus zufriedenstellend.  :D
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