Hans Abrell (Talheim bei Heilbronn) - SIRASI

Begonnen von Tammy_0105, 28. April 2023, 22:33:29

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Tammy_0105

Hallo, heute einmal kein Rasiermesser, das ich zeigen möchte.
Den abgebildeten Gegenstand habe ich vor über einem Jahr bekommen. Er wurde als "antikes Rasiermesser" angeboten und kam als Zugabe zu einem Gebr. Dittmar-Patent-Streichriemen, den ich eigentlich kaufen wollte.





Das Material ist vermutlich "Neusilber". Auf der einen Seite des Griffs steht "SIRASI" und "Talheim - Heilbronn A/N", auf der anderen Seite "D.R.P. No 392504".
Ich habe mich natürlich gefragt, um was es sich handeln könnte, und bin zu der Schlußfolgerung gekommen, daß es sich um einen Vorläufer von WKMs handeln könnte. Es sieht nämlich so aus, als ob vorne eine Rasierklinge eingelegt werden kann, die mit dem zweiten Teil arretiert und gesichert wird. Ich habe das ausprobiert und es war tatsächlich der Fall, wobei die Schneide nach meinem Geschmack ziemlich weit heraussteht.


Mir (obwohl ich mich als Messer-Freak betrachte) war das ein wenig unheimlich und ich habe dann auf eine Rasur damit verzichtet.
Ich habe länger versucht, herauszufinden, wer diesen Gegenstand hergestellt hat.
Über den Begriff ,,SIRASI" ließ sich nichts finden. Erst vor ein paar Wochen fand ich dann über die Kombination der D.R.P. Nummer und dem Ort Talheim einen Hinweis auf das dazugehörige Patent. Dieses ist für Hans Abrell aus Talheim im Jahr 1922 eingetragen worden.
Damit hatte ich einen Anknüpfungspunkt für die dann folgende Recherche.
Hans Abrell war ein Ingenieur. 1913 gründete er die ,,Landwirtschaftliche Maschinen- und Motoren-Industrie Hans Abrell" in Forchheim. Als Beruf von Hans Abrell wird ,,Reisemonteur" angegeben. Ich vermute, daß diese Firma nicht lange bestanden hat, denn ich fand einen Hinweis, daß die Firma 1914 bereits wieder erloschen war. Genaues weiß ich dazu nicht. Bevor er 1920 eine neue Firma ,,Hans Abrell, Maschinenfabrik in Talheim" gründete, war er auch für eine gewisse Zeit in Zuffenhausen ansässig. Die Firma ,,Hans Abrell, Maschinenfabrik in Talheim" gab es bis 1935.
Er hielt verschiedene Patente, z.B. über Schrot- und Backmehlmühlen, Mehlsicht-Apparate usw.
Hier eine Werbeanzeige für eine Schrotmühle ,,Abrell's Ideal" VI aus einer Zeitschrift des Jahres 1921 (s. unten links).



Ein Patent bezieht sich auf den abgebildeten Gegenstand, der in der Patentschrift als ,,Schleif- und Abziehapparat für zweischneidige Rasierklingen" bezeichnet wird.
Ich konnte herausfinden, in welcher Bibliothek sich ein Patentauszug des Schleif- und Abziehapparates befindet, nur hatte ich selbst keine Zugangsberechtigung. Ein guter Freund hat eine Kopie des Auszugs des Patentes besorgen können und den erhielt ich gestern.
Als Patent-Anspruch ist beschrieben:
,,Schleif- und Abziehapparat für zweischneidige Rasierklingen mit einem Halter, dessen verdickter hohler Rücken jeweils die eine Schneide bedeckt und der anderen Schneide den richtigen Winkel zur Schleiffläche gibt, dadurch gekennzeichnet, daß der auf den Klingenhalter (a) zwecks Benutzung als Rasierapparat wie bekannt aufgeschobene Schutzkamm (k,m) gekrümmt ausgebildet ist, um der im Halter eingespannten Klinge (f) die für das Rasieren vorteilhafte Biegung zu geben."
Es handelt sich also um ein Kombinationsgerät, mit dem man einerseits DE-Klingen schärfen kann, andererseits kann durch Verwendung eines Schutzkamms das Gerät auch zur Rasur eingesetzt werden.
Hier eine Abbildung, in der das visualisiert wird.

Die rot eingekreiste Abbildung 3 zeigt den gekrümmten Zustand der Klinge für die Nutzung als Rasiergerät. Der dazu erforderliche Schutzkamm ist bei meinem Gerät verloren gegangen.
Ich habe so ein Gerät vorher noch nie gesehen und kann deshalb nicht einschätzen, ob es tatsächlich kommerziell hergestellt wurde oder ob ich hier ein Gebrauchsmuster oder einen Prototypen habe, welche niemals in die kommerzielle Fertigung gingen. Die Patentnummer auf dem Gerät stimmt mit dem Auszug überein, ein Unterschied besteht aber darin, daß ich nur eine in der Mitte geteilte Rasierklinge einsetzen kann.

Auf jeden Fall ein interessantes Stück Rasiergeschichte, das ich gerne mit Euch teilen möchte.

MRetro

Danke für deinen Beitrag, @Tammy_0105. Ein interessantes Teil. dh:

Es scheint so, wenn man den eingekreisten Teil der Zeichnung betrachtet, dass nur der Kamm auf dem Halter aufliegt und das ,,Rohr" als Schutz nur über die überstehende Klinge geschoben wird, oder?

Abgesehen davon, dass die Rasierklinge ohne den Kamm extrem hervorsteht, liegt sie denn stabil in der Aufnahme oder wackelt sie bei deiner Konstruktion?

Burlador

"Er läuft ja wie ein offenes Rasiermesser durch die Welt..." (Büchner, Woyzeck)

Tammy_0105

Zitat von: MRetro am 29. April 2023, 08:41:49Es scheint so, wenn man den eingekreisten Teil der Zeichnung betrachtet, dass nur der Kamm auf dem Halter aufliegt und das ,,Rohr" als Schutz nur über die überstehende Klinge geschoben wird, oder?

Abgesehen davon, dass die Rasierklinge ohne den Kamm extrem hervorsteht, liegt sie denn stabil in der Aufnahme oder wackelt sie bei deiner Konstruktion?

@MRetro, ich hoffe die Patentschrift gibt die Antworten auf die Fragen:



Als ich es ausprobiert habe, wurde die Klinge allein durch die Klemmung fixiert. Die Patentschrift schreibt aber: "Um der Rasierklinge f zwischen den Klemmbacken Halt zu geben, sind in der üblichen Weise an einer der beiden Backen Haltestifte g angeordnet, die in entsprechende Bohrungen der anderen Backe hineingreifen." Diese Haltestifte fehlen bei meinem Modell, ich gehe davon aus, daß sie (wie der Schutzkamm) verloren gegangen sind.

Zur Befestigung des Schutzkammes steht dort: "Soll der Klingenhalter als Rasierapparat verwendet werden, so wird auf den Klemmbacken c, e ein Schutzkamm k und eine Halteplatte m befestigt (Abb. 3), und zwar mittels irgendwelcher Befestigungsorgane n, die durch die Teile k, c, e und m hindurchgreifen, beispielsweise Klemmschrauben, Bajonettverschlußteile o. dgl." [Das hört sich ein bißchen an wie: "Sie müssen nur den Nippel durch die Lasche zieh'n,
und mit der kleinen Kurbel ganz nach oben dreh'n...." Vielleicht konnte sich das Prinzip deshalb nicht durchsetzen  ;D]

Die Befestigung wurde vermutlich in der Patentbeschreibung mit Absicht so allgemein und vage beschrieben. Welches Befestigungsprinzip bei dem gezeigten Exemplar einmal angewendet wurde, läßt sich nicht sagen, weil genau diese Teile fehlen.

Vielleicht taucht eines Tages einmal ein vollständiges Exemplar auf.

Paula

Wow, was für ein interessantes Teil Du da ausgegraben hast. Glückwunsch und wirklich Schade, daß der Schutzkamm nicht mehr da ist. So weit, wie die Klinge da jetzt raussteht, hätte ich auch etwas bammel vor einem Live-Test.

Zitat von: Tammy_0105 am 28. April 2023, 22:33:29....nicht einschätzen, ob es tatsächlich kommerziell hergestellt wurde oder ob ich hier ein Gebrauchsmuster oder einen Prototypen habe, welche niemals in die kommerzielle Fertigung gingen...
Auf mich macht der SIRASI einen richtig guten Eindruck und den Fotos nach sieht er doch ziemlich professionell nach  (Klein-)Serienfertigung aus.

MRetro

Zitat von: Paula am 29. April 2023, 19:30:11...
Auf mich macht der SIRASI einen richtig guten Eindruck und den Fotos nach sieht er doch ziemlich professionell nach  (Klein-)Serienfertigung aus.

Ich stimme da @Paula zu. Warum sollte auf einem Prototypen bereits die Marke, Herkunft und DRP-Nummer draufstehen?

Tim Buktu

Da hast Du ein besonderes Teil ergattert. Vielen Dank für den ausführlichen Bericht!
Tranquilo - In der Ruhe liegt die Kraft...

PS: Alles nur meine persönliche Meinung, die sich durchaus beeinflussen lässt und sich deshalb gelegentlich auch ändert!