Wie war das denn bitte früher

Begonnen von srge01, 01. Oktober 2009, 12:23:42

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srge01

Hallo ihr lieben,
wenn ich jetzt mal hundert jahre in der zeit zurück gehe und mir einen besuch beim barbier vorstelle,dann muss es in etwa so ausgesehen haben,dass der barbier eine rasur nach der nächsten gemacht hat,all dies ist warscheinlich mit dem gleichen messer geschehen,zwischendurch mal auf ein stück leder eventuell auf einen stein und fertig!
jetzt frage ich mich,wie man eine gute rasur bekommen konnte ohne :
high-end riemen
diverse steine bis hin zum 40.000 finisher
ohne das messer nach der rasur 24h ruhen zu lassen
ohne die neusten cremes oder seifen

jetzt mal ehrlich,betreiben wir einfach zu viel geschiss um das ganze ,oder war die rasur seiner zeit wesentlich schlechter?
wenn man alleine einen neuen stein brauchte,konnte man sich ja nicht bei ebay den genau passenden stein zu seinem messer bestellen...wenn man in den messerladen gegangen ist konnte man sich warscheinlich auch keinen 1000,2000,4000,8000 stein usw kaufen
hardware zu bekommen war wohl um einiges schwieriger...
wenn das messer nicht liebhaber schärfe hatte konnte man auch nicht jemanden aus dem forum fragen,ob er es in einer stundenlangen prozedur schärft,proberasiert usw..
das messer war ganz klar ein gebrauchsgegenstand und anscheinend hat es toll funktioniert auch ohne dieses hick hack :-)

wie seht ihr das ganze?

UbuRoy

Wieso? Warum soll das nicht so gelaufen sein?

Die alten Friseure die mir bekannt sind hatten alle locker 10 Messer.
Steine benutzten sie eigentlich selten, sondern nur Riemen.

Wenn ein Messer irgendwann abgenudelt war, haben sie halt für 1 $ oder eine Reichsmark ein neues gekauft.
Mugs und Pinsel haben die Stammkunden oft selbst im Laden gebunkert.

Und das mit dem Ruhen lassen... Naja. Ob nun 24 Stunden oder 12 Stunden oder 6 oder Null sind ist doch wumpe. Geht trotzdem.

Und zumindest bei meinen Steinen ist nach 8 bis 12tausend schluß.
Eigentlich reicht auch ein Pastenriemen wenns Messer erstmal scharf ist...


Piraten-Papa

Zitat von: srge01 am 01. Oktober 2009, 12:23:42
jetzt mal ehrlich,betreiben wir einfach zu viel geschiss um das ganze ...

Mit Sicherheit JA!!! Aber wir haben einen riesigen Spass dabei. dh:

harrykoeln

Ne Rasur ist was vollkommen alltägliches, nichts Besonderes. Wie eine Dusche, oder die tägliche Tasse Kaffee.

Ein Golf fährt auch. Auch gut bis sehr gut für 99% der Golf-Besitzer. Der Rest macht nen Kult draus. Tunt hier, schraubt da, macht Drehzahl dort.

So wie wir.
"The two most common things in the universe are hydrogen and stupidity.
There is more stupidity around than hydrogen, and it has a longer shelf life."
Frank Zappa (1940-1993)

Geier0815

Hmm, ich denke mir das Ganze so: Der Barbier hat ein Messer für Barbiere gekauft, so was wie die fetten 8/8. Warum? Damit er nicht ständig neu kaufen muß, sprich so ein Teil wurde klein geschliffen im Gebrauch. Nun hatte er so ein Teil und das wird relativ scharf geliefert worden sein. Er rasiert also damit seine Kunden und zieht jedesmal vorher auf dem Leder ab. Wenn wir von 1/2 Jahr ausgehen bis ein Messer wieder auf den Stein muß, wird das bei ihm wohl eher wöchentlich gewesen sein. Nun ist solch ein Messer dann ja nicht total versaut, sprich es langt dann auf den Finisher zu gehen um wieder aufzufrischen. Was waren das damals für Steine? Genau: das was wir heute wie doof suchen, antike Thüringer oder belgische Brocken, in anderen Ländern wohl vergleichbares. Danach ist das Messer nicht so dolle wie bei uns nach irgendwelchen hyper-super-teuer-Steinen, also muß der gute Mann etwas fleißiger auf dem Riemen sein, aber da hat er ja Übung. Und nach ca. 2 bis 3 Jahren ist sein 8/8 runter und das Spiel beginnt von vorn. Heute brauchen wir mehr Steine wenn wir Messer restaurieren, sprich Verschliff bekämpfen, Rost bekämpfen oder Scharten ausschleifen. Ansonsten könnten auch wir noch mit nur einem Stein auskommen, aber ehrlich: Wer will das schon?

Nikita

Irgendwann gabs doch auch mal die guten alten Scherenschleifer. Ob die sich wohl auch der Rasiermesser angenommen haben?
Calani-Seifenmanufaktur

harrykoeln

Zitat von: Nikita am 01. Oktober 2009, 15:18:55
Irgendwann gabs doch auch mal die guten alten Scherenschleifer. Ob die sich wohl auch der Rasiermesser angenommen haben?

Bestimmt... und bei der Vorstellung, da läufts mir kalt den Rücken runter...
"The two most common things in the universe are hydrogen and stupidity.
There is more stupidity around than hydrogen, and it has a longer shelf life."
Frank Zappa (1940-1993)

Nikita

Calani-Seifenmanufaktur

srge01

und wie war wohl die rasur seiner zeit?
vergleichbar,besser,schlechter?

henning

Woher soll man das denn letztendlich wirklich wissen? Man kann doch nur vermuten.

Ciao

srge01

das ist richtig...aber vielleicht kennt ja jemanden jemand,der einen schwager hat,dessen freund usw usw:-)
ne mal im ernst,durch überlieferungen usw...
bzw ich stell die frage mal anders..konnte man ein messer vor hundert jahren mit den mitteln,die überall erhältlich waren so scharf und fein bekommen wie heute?

UbuRoy

Fragt doch einfach mal Eure Großväter.

Meine haben mir gesagt, das es heute lediglich schneller geht, aber nicht besser. Dafür viel teurer und völlig Stilfrei.
Keiner von Ihnen ist übrigens auf E-Mäher oder System umgestiegen, sondern Hobel, sofern sie die nicht eh schon benutzten.

Also eigentlich ist das ja hier sicher bekannt.


kw

Ich kann dir sagen, wie mein Schwiegerpapa früher im Laden verfahren ist: einen Haufen unterschiedlicher Rasiermesser, einen grünen Escher (noch 'nen anderen Stein + jeweils einen Anreiber) und 'nen Riemen. Das war's. Und später ist er auf Wechselklinge umgestiegen.

Und von der Handhabung (Ubu hat's schon angedeutet): dann hätte es kein Rasiermesser werden sollen... Geschiss hat er jedenfall keins gehalten. ;)




lesslemming

Ich habe letztlich großzügigerweise zwei Biedermeier Rasiermesser geschenkt bekommen,
aus einem Set von ca. 9 Messern (von 4/8 - 5/8) eines alten Friseurs.

Die Messer haben mein Interesse geweckt, da sie noch im original Frisörzustand waren.
Die Messer hatten keinen Rost und auch keine Fehler, topp gepflegt aber eindeutig Gebrauchsgegenstände.

Auf allen Messern stand eingelasert "Bidermeier Nachschliff".
Ganz offensichtlich wurden die Rasiermesser zum "Nachschleifen" zurück an den Hersteller geschickt.
Ich habe schon öfter Gespräche zwischen Schleifmeistern mit fast 1/2 Jahrhundertjähriger Berufserfahrung verfolgt, die zu Kunden,
die mit einem antiken aber unbeschädigten Messer ankamen sagten:
"Das Messer ist gut, der Stahl hart, aber es ist stumpf. Das heißt die Klinge ist zu dick und kann nicht auf Steinen nachgeschliffen werden. Sie muss bei Böker oder jemand anderem neu hohlgeschliffen werden..."
Wie jetzt, man kann stumpfe Rasiermesser nicht schärfen? 
Es war wohl zu seiner Lehrzeit einfach üblich, Messer (grade auf professioneller Ebene) einfach zum Hersteller zu schicken,
und komplett neu hohlschleifen zu lassen (von wegen Geometrie einhalten und solche Fürze)

Was weiterhin interessant war:
Die Messer hatten einen eindeutigen doppel Anschliff.
Die Messer wurden neu hohlgeschliffen und mit angehobenen Rücken auf einem groben Stein geschärft,
schätzungsweise 800.
Danach bekam das Messer mit nocheinmal höherem Winkel eine feinere Fase.

So kamen die Teile dann vom Werk.

Der Frisör selbst hatte dann seine altgewohnten Möglichkeiten,
einen synthetischen Stein mit Pottasche oder sonstigem als Schleifmittel,
vielleicht einen Franz Swaty,
einen Naturstein wie einen Thüringer oder einen gelben Belgier.
Besonders mit letzterem kann man einiges an Arbeit verrichten,
aber zum Instandhalten reichen allesamt
und direkt von den Steinen sich rasieren geht auch wunderbar.

Ein paar Tricks wie Asche aufs Leder werden die Frisöre damals auch draufgehabt
und sich so selbst irgendwie feine Pasten hergestellt haben.
Damit sind sie dann einige Zeit durchgekommen

Für Frisöre waren Rasiermesser Werkzeuge, die funktionieren mussten.
Die wenigsten hätten Zeit und Lust gehabt ihre Messer selbst zu schärfen.
..:: Wer mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht ::..
..:: bekommt nie eine frische Unterhose ::..

harrykoeln

Zitat von: lesslemming am 01. Oktober 2009, 18:10:18
...
Ganz offensichtlich wurden die Rasiermesser zum "Nachschleifen" zurück an den Hersteller geschickt.


Das ist so, das war gängige Praxis. Nur: wurden die nicht geschickt, sondern die Vertreter der Messerhersteller fuhren rum.

Zitat von: lesslemming am 01. Oktober 2009, 18:10:18
...
Ich habe schon öfter Gespräche zwischen Schleifmeistern mit fast 1/2 Jahrhundertjähriger Berufserfahrung verfolgt, die zu Kunden,
die mit einem antiken aber unbeschädigten Messer ankamen sagten:
"Das Messer ist gut, der Stahl hart, aber es ist stumpf. Das heißt die Klinge ist zu dick und kann nicht auf Steinen nachgeschliffen werden. Sie muss bei Böker oder jemand anderem neu hohlgeschliffen werden..."
Wie jetzt, man kann stumpfe Rasiermesser nicht schärfen? 
Es war wohl zu seiner Lehrzeit einfach üblich, Messer (grade auf professioneller Ebene) einfach zum Hersteller zu schicken,
und komplett neu hohlschleifen zu lassen (von wegen Geometrie einhalten und solche Fürze)
...

Ob es jetzt direkt Fürze sind, weiss ich nicht. Allerdings waren die hohlen Messer, wenn der Wall "wegge..." (...ledert, ...schliffen oder was auch immer) war, unbrauchbar. Da musste ne neue Warte ran. Wenn nicht mehr möglich, war das Messer Schrott. Auch das war gang und gebe.

Zitat von: lesslemming am 01. Oktober 2009, 18:10:18
...
Was weiterhin interessant war:
Die Messer hatten einen eindeutigen doppel Anschliff.
Die Messer wurden neu hohlgeschliffen und mit angehobenen Rücken auf einem groben Stein geschärft,
schätzungsweise 800.
Danach bekam das Messer mit nocheinmal höherem Winkel eine feinere Fase.
...

So extrem kenne ich es nicht, aber nach dem Hohlschliff wird die erste Facette ans Messer geschliffen. Diesen Arbeitsgang, der auch heute noch gemacht wird, nennt Mann raiden.



Zitat von: lesslemming am 01. Oktober 2009, 18:10:18
...

Der Frisör selbst hatte dann seine altgewohnten Möglichkeiten,
einen synthetischen Stein mit Pottasche oder sonstigem als Schleifmittel,
vielleicht einen Franz Swaty,
einen Naturstein wie einen Thüringer oder einen gelben Belgier.
Besonders mit letzterem kann man einiges an Arbeit verrichten,
aber zum Instandhalten reichen allesamt
und direkt von den Steinen sich rasieren geht auch wunderbar.

Ein paar Tricks wie Asche aufs Leder werden die Frisöre damals auch draufgehabt
und sich so selbst irgendwie feine Pasten hergestellt haben.
Damit sind sie dann einige Zeit durchgekommen

Für Frisöre waren Rasiermesser Werkzeuge, die funktionieren mussten.
Die wenigsten hätten Zeit und Lust gehabt ihre Messer selbst zu schärfen.

Ja klar. So entstanden die "Pasten". Die wurden nicht entwickelt sondern nur "weiterentwickelt".

So ein Friseurmesser wurde einfach stramm genutzt. Da hatten die Profis weder die Zeit, noch die Lust sich drum zu kümmern, die Dinger mussten einfach nur funktionieren. Das war deren tägliches Handwerkszeug, da denkt Mann nicht großartig drüber nach.

Ich hatte da vor einiger Zeit einen Disput von wegen Leder... Meine Werkstattriemen sind bei mir auch nur Werkzeuge, Mittel zum Zweck. Um die 20 hängen da rum. Die lernen auch schonmal die härtere Gangart kennen, die werden bei mir nicht verhätschelt und vertätschelt. Wenn die nicht funzen - Tonne - neu! Von wegen regelmäßig absaugen und handstreicheln. Ich brauch keine Bio-Riemen. Die werden an der Wand ausgeschlagen wenn nötig. 
"The two most common things in the universe are hydrogen and stupidity.
There is more stupidity around than hydrogen, and it has a longer shelf life."
Frank Zappa (1940-1993)