Ruhephase des Messer nur Mythos oder wirklich was dran?

Begonnen von redmatze, 25. Juni 2009, 21:16:47

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

0 Mitglieder und 2 Gäste betrachten dieses Thema.

Rockabillyhelge

Die kann ich nicht abschließend erklären, da es sich bei den meisten DE´s jedoch um beschichtete (Teflon u.a.) Klingen handelt, würde ich nicht den gleichen Maßstab wie bei einem herkömmlichen RM ansetzen, habe aber selbst in der Hochzeit meiner Hobelei noch nie 24h gewartet oder in irgendeiner Form drauf Rücksicht genommen, auch bei mehrfachem Rasieren am Tag gabs keine Auffälligkeiten.
Auch mit Bart immer gut rasiert :)

Borsif

#46
Hallo,

ich möchte mich jetzt weder der Pro- noch der Kontra-24h-ruhen-Fraktion anschließen, jedoch möchte ich einige Sachen kommentieren.

Zitat"Innere Spannungen sind im Messer auch nicht in der Form da, als das sie zu einer "Bewegung" jedwelcher Art führen würden, schließlich werden Messer nach dem Härten Spannungsfrei geglüht, wenn dieses nicht passiert gibts Risse da halt Spannungen im Material sind, entsprechend sind sie ungewünscht.
Anders sieht es bei der "Elastizität" bzw. Flexibilität aus, quasi dem Rückfedern in den Ausgangszustand wie Alvaro es geschrieben hat, dieses mechanische Verhalten ist durchaus erwünscht aber unmittelbar beendet, wenn der Ausgangszustand wieder erreicht ist, das das Messer sind beim Eindellen wie eine Feder verhält und durchaus auch federnde Eigenschaften im Stahl hat, ist es wieder ausgerichtet, wenn der mechanische Druck aufhört und nicht erst Stunden danach."

Ja, das Messer hat nach dem Härten einige innere Spannungen, ja diese Spannungen werden beim Anlassen (nicht "spannungsfrei glühen") reduziert (nicht beseitigt).
http://www.wst-center.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Werkstoffe/12210.pdf Laut dem Datenblatt für Silberstahl ist die Temperatur fürs spannungsarm (nicht frei) Glühen 600-650°C, da kommt dann ein Messer mit 34HRC raus. Die Anlasstemperatur liegt für 62HRC nämlich bei max ~250°C.

Aber ich glaube, dass diese Spannungen ja garnicht gemeint sind.

Zitat"das es innere Spannungen im Stahl gibt, bin ich mir durchaus bewusst. Nur sind diese nicht "lenkbar", sprich die Spannungen können dir den Grat theoretisch auch umlegen oder wellig machen. Das kann man nicht direkt beeinflussen. "

Wenn ich ein Messer schärfe und dadurch eine Facette bilde, dann ist diese in einem mehr oder minder stabilen Zustand. Das heißt: ohne Grund wird sich diese wohl kaum umlegen oder wellig machen, sondern bleibt genau wie sie ist.
Eines möchte ich hier noch klarstellen. Der "Grat" ist kein Fähnchen am Ende der Facette, sondern einfach nur das mehr oder minder spitze Ende der Facette, also im Querschnitt ein gleichschenkeliges Dreieck.

Zitat"Also Flexibel und Flexibel ist nicht unbedingt das gleiche, im Bereich der Facette sind auch um die 55-60 Rockwell, ohne mechanischen Einfluß biegt man dort nicht viel hin oder wieder zurück."
bzw.
"...  das das Messer sind beim Eindellen wie eine Feder verhält und durchaus auch federnde Eigenschaften im Stahl hat, ist es wieder ausgerichtet, wenn der mechanische Druck aufhört und nicht erst Stunden danach."

Das musst du mir mal beweisen, dass ein Stahl xy bei einer bestimmten Belastung xy sich ausschließlich und zu 100% nur elastisch verformt und aufs Nanometer genau und in der Sekunde in die Ausgangslage zurückkehrt. Das tut er nämlich nicht. Wenn ich in mein Rasiermesser mit dem Daumen an der Schneide eine Delle drücke, dann ist diese - mit dem bloßen Auge betrachtet - "sofort" wieder weg, aaaaber ....

Jede Verformung im Stahl ist sowohl elastisch (reversibel) also auch plastisch (nicht reversibel). Das Kristallgitter von Stahl hat nicht in jede Richtung die gleiche Festigkeit, das Material ist also nicht isotrop. Die Ausrichtung des Kristallgitters ist in jedem Stahlkorn (im Gefüge) unterschiedlich, folglich wird sich bei Belastung Korn A noch elastisch verformen, Korn B aber vielleicht schon plastisch. Wenn die Belastung verschwindet, dann bleibt Korn B in der neuen, verformten Position und Korn A ist bestrebt in die Ausgangslage zurückzukehren. Das kann es aber nicht, da Korn B ja blöder weise verformt ist (durch eine bzw. mehrere Versetzungen im Kristallgitter) und den Weg blockiert. Also bleibt Korn A elastisch vorgespannt, das Gefüge hat an dieser Stelle nun eine innere Spannung. Materie ist stets bemüht in einen Zustand einer niedrigsten Enerie zurückzukehren und das wäre ein entspannter Zustand. Also fangen mit der Zeit einzelne Atome an im Kristallgitter durch Diffusion diese Spannungen abzubauen. Die Versetzungen beginnen in bestimmte Bereiche zu wandern (z.b. Korngrenzen), sodass sich Korn A wieder zurück verformen kann. Das passiert zu Beginn schnell und wird immer langsamer - und es ist Temperaturabhängig - das gleiche geschieht beim Spannungsarmglühen) Im Kristall B und Kristall A werden sich die Atome so anordnen, dass diese wieder in einen Zustand geringeren Energie übergehen. Das wird zwar wohl nicht exakt der Ausgangszustand sein, aber jedenfalls ein anderer als unmittelbar nach der Verformung.

Die Facette eines Rasiermessers in an der äußersten Spitze (Grat) nur wenige Nanometer dünn und der männliche Bart ist schon sehr widerstandsfähig und stellt mit sicherheit eine große Belastung für den Grat dar. Inwieweit jetzt die oben beschriebenen Vorgänge dem Rasiermesser helfen oder nicht kann ich nicht sagen. Die "gängige Meinung" hier ist eben, dass ein Grat, welcher sich noch nicht entspannt hat und wieder belastet wird (Ledern, Rasieren) (und z.b. diesmal an der Stelle genau in die entgegengesetzte Richtung gebogen wird) darunter leidet.

Es müsste nach der oben beschriebenen Theorie übrigens auch helfen, wenn man das Messer einfach einer gewissen Wärme aussetzt, dann müsste sich der Grat schneller entspannen (unterhalb der Anlasstemperatur)

Liebe Grüße
Borsif

wiese

Ist das alles wissenschaftlich erforscht oder nur Vermutung? Nach meinem Wissen gibt es sehr wohl eine rein elastische Verformung. Erst ab einer gewissen Belastung verformt sich ein Metall plastisch. Federn werden ja auch mit Millionen von Lastspielen elastisch beansprucht.

Borsif

Das ist schon ein sehr, sehr vereinfachter Teil des Inhalts der Vorlesung für Metallische Werkstoffe an der Technischen Universität in Wien.

Die "reine" elastische Verformung ist eine stark vereinfachte, makroskopische Betrachtungsweise.

Wieso würde jemals eine Feder brechen, wenn alles und immer - auch auf Kristallebene - rein elastisch abläuft?

alvaro


Rockabillyhelge

@Borsif: Das ist ein wirklich guter Ansatz den ich gut nachvollziehen kann.
In meinem oberen Beitrag habe ich die Elastizität weitestgehend im physikalischen Idealfall gesehen um sie auf die Ausbeulung durch die Nagelprobe anzuwenden, in kleinster Betrachtung läuft da natürlich nichts mehr idealtypisch wie du mit dem Hinweis aufs Gefüge ja geschrieben hast, die konkreten Materialeigenschaften berücksichtigt hat man natürlich immer etwas plastische Verformung mit bei (nicht umsonst werden belastete Federn wie Fahrwerksfedern ja irgendwann spröde bzw. altern).
Die konkreten Effekte auf mikroskopischer Ebene sind mir weitestgehend unbekannt, zwar habe ich im Technik- und Physikstudium öfters damit zu tun gehabt, allerdings nicht im dynamischen Bereich, dennoch kann ich deine Argumentation wie o.g. auch nachvollziehen.
Allerdings verstehe ich noch nicht ganz wo auch bei Gefügeänderungen eine tatsächliche plastische Verformung einstellt wenn durch Diffusion (quasi Konzentrationsausgleich bzw. energetisch günstigstes Gitter) nur, wenn auch im äussersten extrem langsam, der Ausgangszustand wieder hergestellt wird. Analog zu einer Schwingung gesehen wo ein Pendel zum Ende hin scheinbar endlos langsam ausschwingt befindet sich das System Rasiermesser nur in einer Bewegung in den Ausgangszustand, auf diese Weise gesehen würde das sogar mit den 24h Sinn machen obgleich ich vermuten möchte, dass die angesprochenen Mikroskopischen Effekte keine sonderlichen Auswirkungen auf die Rasur als solches haben dürften.
Nicht das Du mich jetzt falsch verstehst, das soll jetzt kein Contra sein, ich bin wirklich an der Materie interessiert (wie wir alle) und freue mich durch deinen Beitrag einen sehr interessanten Input bekommen zu haben, ich versuche diesen jetzt nur korrekt einzuordnen.

Auch mit Bart immer gut rasiert :)

Borsif

Hallo,

ich freue mich, dass mein Beitrag die Diskussion so konstruktiv angeregt hat. Dein Beispiel mit dem Pendel ist sehr gut, aber ich würde ein Modell vorschlagen, welches aus einer Blattfeder mit draufgepappter Modeliermassebesteht.

Die Blattfeder allein, nehmen wir an sie sei perfekt und ausschließlich elastisch verformbar, würde bei einer Umformung zurückschwingen und nach einiger längerer Zeit würde die Bewegungsenergie in Wärme dissipieren (Luftwiderstand, Reibung, ...). Am Ende würde sie im Idealfall die exakte Ausgangslage erreichen.

Nehmen wir jetzt eine Modelliermasse und nehmen wir an sie sei perfekt und ausschließlich plastisch verformbar. Wenn ich jetzt die Modelliermasse umforme, dann bleibt sie genau in dem Zustand und macht nichts.

Jetzt verbinde ich die Modelliermasse mit der Blattfeder und lenke diese aus. Nun ist die Feder bestrebt den Ausgangszustand zu erreichen, die Modelliermasse bestrebt ihre Form beizubehalten. Wenn die Auslenkung der Blattfeder noch groß ist, dann wirkt auf die Modelliermasse noch eine hohe Kraft und diese gibt noch gut nach, aber umso näher sich die Blattfeder dem Ausgangszustand nähert, umso langsamer wird sie. Die Kraft der Blattfeder wird immer niedriger und die Kraft, welche für das verformen der Modelliermasse benötigt wird ist immer gleich. Ob diese Kombination jetzt jemals den absolut exakten Ursprungszustand wieder erreicht hängt von einigen Faktoren ab, man kann jedenfalls sagen, dass eine Rückstellbewegung erfolgt, diese wirkt zu beginn schnell und wird mit der Zeit langsamer.

Drill Instructor

Vielen Dank für die Erklärung und das Beispiel!

Jetzt frage ich mich aber: Die Blattfeder drück anfangs volle Pulle und verformt daher die Modelliermasse maximal. Je weiter sie verformt hat, desto geringer ist der Unterschied zwischen dem gegenwärtigen und dem angestrebten Zustand, daher immer weniger Druck. Wie soll die Änderung nach 48h (also ein Tag ausgesetzt) so viel größer sein als nach 24h (nicht ausgesetzt)?

Bei DE-Klingen habe ich es ausprobiert und kann exakt NULL Unterschied zwischen täglichem und zweitäglichem Einsatz feststellen.

Bei den Messern habe ich die starke Vermutung, dass man früher dem gestressten aber zahlungskräftigen Messerschwinger nicht ein Messer sondern sieben Messer verkauft hat damit man die einfach eines nach dem anderen nutzen und am Wochenende in Ruhe pflegen kann. Das mit dem "Ausruhen" sehe ich schlicht als Verkaufsförderungsspruch - auch wenn früher alles besser war, gab es auch damals schon unhaltbare Werbesprüche.

So sehr ich die technische Erklärung schätze so wenig kann ich nachvollziehen wie dies is ein vor der Rasur geledertes Messer einen Einfluss haben soll ob der Effekt 24 oder 48h wirkt.
Im Sommer 2015 habe ich kühlendes Aftershave verwendet. Alle fünf Tage.

Borsif

Zitat von: Drill Instructor am 28. September 2017, 08:16:50
Vielen Dank für die Erklärung und das Beispiel!

Jetzt frage ich mich aber: Die Blattfeder drück anfangs volle Pulle und verformt daher die Modelliermasse maximal. Je weiter sie verformt hat, desto geringer ist der Unterschied zwischen dem gegenwärtigen und dem angestrebten Zustand, daher immer weniger Druck. Wie soll die Änderung nach 48h (also ein Tag ausgesetzt) so viel größer sein als nach 24h (nicht ausgesetzt)?

Nehmen wir an das mit der Blattfeder dauert 5 Sekunden bis sie wieder 90% des Ausgangszustands erreicht hat. Bei Stahl wird es dann länger dauern - wie lange ist hier aber die Frage. Sind jetzt nach 24h vll nur 60% erreicht und nach 48h 90% ? oder nach 24h erst 20% und nach einer Woche 90%? Oder eh schon 90% bei 24h?

Ich hab ja schon in meinem ersten Post geschrieben, dass ich mich weder dem pro- noch dem contra- "Team" anschließen will. Ich weiß es nicht, ob es der Standfestigkeit der Messer zuträglich ist wenn man sie x statt y Stunden/Tage ruhen lässt. Ich kann es auch aus eigener Erfahrung nicht berichten, da ich mich mit mehreren Messern abwechselnd rasiere, worauf ich gerade Lust habe.

Ich wollte nur einige Aussagen bezüglich Stahl und Verformung kommentieren mit denen ich uneins war.

Drill Instructor

Wunderbar und dafür danke ich Dir sehr!

Egal ob bei Messern oder Rasierpinseln höre ich oft von Leuten mit massiv dreistelligen Stückzahlen ganz tolle Tipps wie man dafür sorgt, dass das Messer bzw. die Pinsel lange halten. Klaro halten die Sachen lange wenn ich sie nie bzw. nur jeden 100. Tag nutze. Jeder meiner Rasierpinsel hat rund 182 Benutzungen pro Jahr und dass die nach ein paar Jahren nicht mehr wie neu aussehen ist auch klar. Nach 1-2 Benutzungen haben die auch noch neu ausgesehen nur klingt "auch nach 2 Tagen wie neu" nicht ganz so respektheischend wie "auch nach 2 Jahren noch wie neu".
Im Sommer 2015 habe ich kühlendes Aftershave verwendet. Alle fünf Tage.

Rockabillyhelge

@Borsif: OK, das wird immer besser nachvollziehbar, angewandt auf das Gefüge des RM wäre es ja quasi eine Mischung plastischer und elastischer Verformung mit maximaler Durchmischung zur Schneide hin und maximaler Gleichmäßigkeit zum Rücken hin , die Körner müsste dann ja einem Konzentrationsausgleich nach das energetische Gleichgewicht suchen welches sich aber nach einer gewissen Zeit quasi unendlich langsam erst einstellt da quasi die "Federspannung" gegen 0 geht. Das ein solches System durch die externe Zufuhr von Energie z.B. durch Wärme sich schneller normalisiert erscheint logisch.
Und jetzt kommt mir ein spinnerter Gedanke, Reibung erzeugt ja in der Regel Wärme ergo Ledern könnte eine Art Normalisierung bewirken.
Auch mit Bart immer gut rasiert :)

Bad_Rockk

Hallo zusammen,

es freut mich, dass hier im Forum wirklich auf netter und sachlicher ebene "gesprochen" werden kann!  dh: Das findet man nur noch selten im Netz.

Auch finde ich die technische Erklärung richtig gut, auf sowas habe ich gehofft.

Gruß Tim
Gruß Tim

Borsif

#57
Servus,

es gibt einen "Blogger", welcher mit einem recht guten wissenschaftlichen Ansatz verschiedenste Schärfgrundsätze, Schärftechniken, etc. etc. und eben auch "Mythen" testet und dabei jeweils das Schärfgut bzw. die Rasiermesserklinge unter einem REM (Rasterelektronenmiskroskop) betrachtet. So habe ich diesen in seinem Blog mal gefragt was er von dieser 24h Pause hält und seine Antwort war, dass er solche "Ruhepausen-Effekte" bis jetzt nie beobachten konnte, ebenso konnte er selbst keinen Unterschied in Schnitthaltigkeit zwischen täglich und wöchntlich benützten Messern feststellen.

Er äußert übrigens auch seine Meinung zum Ursprung des Mythos: es sei wohl eine "Erfindung der Rasiermesserverkäufer" :P

Genaue Frage + Antwort siehe hier:

https://scienceofsharp.wordpress.com/#comment-1638

PS: der Blog ist echt sehr informativ und interessant!

Liebe Grüße
Borsif

Drill Instructor

Im Sommer 2015 habe ich kühlendes Aftershave verwendet. Alle fünf Tage.

Onkel Hannes

#59
Ich gliedere dieses aktuelle Theman in das bereits bestehende ein.
Hannes


Ich habe keine Zeit, das nachzulesen, aber hatte lesslemming nicht einmal versucht, das ganze unter dem Elektronenmikroskop darzustellen?
Wenn ich mich recht erinnere, ging es darum im DE-Klingen-Thema.

Edit:
https://www.gut-rasiert.de/forum/index.php/topic,21075.0.html
https://www.gut-rasiert.de/forum/index.php/topic,20251.0.html

Leider sind die Bilder wohl nicht mehr sichtbar.
Hungrig vom schlafen und müde vom essen.