Rasierhobelumbau nach Joe Edgar Bevis zur Vergrößerung des Rasierklingenspiels

Begonnen von Standlinie, 07. Juli 2020, 23:45:17

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Standlinie

Rasierhobelumbau nach der Konstruktionsidee von Joe Edgar Bevis zur Vergrößerung des Rasierklingenspiels

Am 20. Mai dieses Jahres stellte Thorsten69 in unserem Rasiererforum einen absolut seltenen britischen DE-Rasierhobel aus dem Jahr 1942 vor ( https://www.gut-rasiert.de/forum/index.php/topic,36183.0.html). Es handelte sich bei diesem Exemplar um einen Zahnkammhobel, dessen Kopfplatte über zwei unterschiedliche Seitenränder verfügte. Diese Kopfplattenkonstruktion wurde patentiert und sollte nach dem Patenttext zu einer Vergrößerung des Rasierklingenspiels führen.

Der Gedanke, das Rasierklingenspiel eines Rasierhobels zu verändern, hat in der Vergangenheit zu verschiedenen technischen Konstruktionen geführt. Bekannte ,,verstellbare" Rasierhobel sind zum Beispiel der Apollo Mikron, der Gibbs Reglable, die verschiedenen Gillette Adjustable, der Le Coq Reglable, der Merkur Progress/Futur, der Personna Precision und viele weitere Exemplare bis hin zu  aktuellen Neukonstruktionen, die heute unter anderem auch in Edelstahl erhältlich sind (z.B. Parker, Rex, Taiga, u.v.a.).

Allerdings gab es auch einige Rasierhobel, bei denen an der Hobelgrundplatte eine Schaumleiste geringfügig modifiziert wurde, um das Rasierklingenspiel an dieser Seite etwas zu vergrößern. Beispiele dazu lieferte Merkur mit einem alten Reiserasierer, dann auch französische Rasierhobel der Marke Gardette und französische Gibbshobel (No. 12, No. 14, No. 16). Unabhängig von all diesen Rasierhobeln kann man in der Regel bei fast jedem normalen DE-Rasierhobel das Rasierklingenspiel auch geringfügig verändern, in dem man den Hobelgriff einfach einmal nicht zu fest zuschraubt. Dies bewirkt, dass sich die Rasierklinge der inneren Kontur des Hobelkopfes weniger anpassen kann und die Schneiden der eingelegten Rasierklinge etwas freier stehen, was zu einer Vergrößerung des Rasierklingenspiels führt. 

In den 40er Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts hat in England Joe Edgar Bevis einen dreiteiligen Zahnkammhobel auf den Markt gebracht, bei dem zur Veränderung des Rasierklingenspiels nicht die Hobelgrundplatte sondern die Hobelkopfplatte modifiziert war. Ein Patent für diesen Rasierhobel war 1940 angemeldet worden. Folge dieser Modifizierung war, dass bei einer eingelegten Rasierklinge ein größerer Abstand zwischen der Grundplatte und der modifizierten Kopfplattenseite vorlag und sich die Rasierklinge dieser neuen Kontur im zusammengeschraubten Zustand anpasste. Hierdurch wurde das Rasierklingenspiel vergrößert und der Zahnkammhobel sollte damit gründlicher rasieren. Von der Theorie her mochte das so auch zutreffen, aber die absolute Seltenheit dieses Zahnkammhobels hat dazu geführt, dass meines Wissens nach keine Veröffentlichung vorliegt, die den Erfolg dieser Konstruktionsidee bestätigen konnte.

Die außergewöhnliche Hobelkopfplattenkonstruktion des Zahnkammhobels von Joe Edgar Brevis hat bei mir eine gewisse Neugierde geweckt, woraus der spontane Wunsch entstand, die Konstruktionsidee aufzugreifen und für einen Rasierhobelumbau zu verwenden. Es reizte mich auch, den Nachweis zu führen, ob eine Hobelkopfüberarbeitung tatsächlich auch das Rasierklingenspiel verändern würde und ob diese Veränderung dann auch Vorteile bei der täglichen Rasur bewirken könnte.

Für meinen Rasierhobelumbau wählte ich einen chinesischen Acevivi-Hybridhobel aus, zum einen, weil ich zwei Exemplare dieses Hobels besitze und zum anderen, weil die Kopfplatte des Acevivi weitgehend derjenigen des Zahnkammhobels von Joe Edgar Brevis entspricht. Die folgenden Bilder zeigen den von mir ausgewählten Acevivi-Hybridhobelobel.

















Ich habe das vorhandene Rasierklingenspiel des Hybridhobels vor seinem Umbau mit einer Fühlerlehre nachgemessen. Das Spiel beträgt sowohl an der geschlossenen als auch an der gezahnten Schaumleistenseite auf ganzer Länge jeweils 0,60 mm.





Für den Hobelumbau habe ich eine Seite der Kopfplatte in Teilen weggeschliffen. Das Ergebnis ist auf dem obigen Bild deutlich zu sehen. Und im zusammengebauten Zustand sieht der veränderte Hybridhobel natürlich etwas anders aus. Die nachfolgenden Bilder zeigen das Ergebnis meiner Modifizierung.











Auf diesem Bild ist gut zu erkennen, wie nah die Kopfplatte auf der Grundplatte aufliegt. In dem Zwischenraum befindet sich die Rasierklinge. Sie wird im Normalfall von der Kopfplatte nach unten in Richtung auf die Schaumkante der Grundplatte gebogen. Nach dem Wegschleifen eines Teiles der Kopfplatte besteht der Unterschied zur unveränderten Kopfplatte jetzt darin, dass die weggeschliffene Platte die Rasierklinge nicht mehr in dem Umfang herunterdrücken kann wie es die nicht von der Modifizierung betroffenen Kopfplattenecken noch tun.





Diese Ansicht zeigt die modifizierte Kopfplatte im zusammengeschraubten Zustand. An den Seitenrändern des Kopfes wird die Rasierklinge zwischen der Kopf- und der Grundplatte  eingespannt. In der Mitte liegt die Rasierklinge frei.








Auf diesem Bild kann man durch scharfes Hinsehen erkennen, dass der lichte Raum zwischen der Zahnkammleiste der Grundplatte und der Rasierklinge im Vergleich zu den Rändern in der Kopfmitte minimal zugenommen hat. Noch deutlicher sieht man die Veränderung in dem nachfolgenden Bild. Die Rasierklinge biegt sich minimal hoch. Misst man nun das Rasierklingenspiel mit der Fühlerlehre nach, beträgt der Abstand zwischen der Grundplatte und der eingelegten Rasierklinge an den Ecken der Kopfplatte immer noch 0,60 mm. In der Mitte der Kopfplatte hat der Wegschliff eines Teiles der Kopfplatte dagegen zu einer Abstandszunahme geführt. Er beträgt genau 1,00 mm. Die eingelegte Rasierklinge kann sich leicht nach oben wölben.








In dem obigen Bild ist die leichte Durchbiegung der Rasierklinge in der Mitte der Kopfleiste deutlicher zu sehen.







Wie rasiert es sich nun mit diesem um- oder nachgebauten Joe Edgar Brevis Rasierhobel? Einfach hervorragend. Mir bereiteten die Rasuren gerade mit diesem Hobel viel Freude. Der Hobel hat durch den Umbau seine Führigkeit nicht verloren. Er bleibt führig, rasiert sanft und gleichzeitig zupackend und die Rasierklinge knistert während der Rasur, da sie durch ihren Freistand ungehindert schwingen kann. Das Rasurergebnis ist gründlich und das nach der Rasur aufgetragene Aftershave beißt nicht, was im Nachhinein belegt, dass der umgebaute Rasierhobel trotz Vergrößerung des Rasierklingenspiels immer noch hautschonend rasiert. Bis zum nachfolgenden Tag sind die bis dahin nachgewachsenen Bartstoppeln immer noch ziemlich kurz gewesen.

Ich kann jetzt bestätigen, dass der Konstruktionsgedanke von Joe Edgar Brevis zu einem guten Ergebnis geführt hat. Seine Idee, die Hobelkopfplatte zu modifizieren, hat zu einer Vergrößerung des Rasierklingenspiels auf der Seite der abgeänderten Kopfplatte geführt. Der Rasierhobel rasiert damit sehr gründlich bei gleichzeitiger Schonung Gesichtshaut.
Die Nachhaltigkeit einer gründlichen Nassrasur zeigt sich 24 Stunden später an nur gering und gleichmäßig nachgewachsenen Bartstoppeln.

MRetro

Sehr schöner Versuch, Standlinie.  :)  dh:

Aber zu schreiben, dass dein Umbau an dem von Joe Edgar Brevis angelehnt ist, ist ja fast schon tiefgestapelt.  ;)
Wer die Kopfplatten vergleicht wird sicherlich bemerken, dass deine ,,Aussparung" in der Kopfplatte deutlich größer ist und Brevis in der Mitte auch noch eine ,,Nase" stehen gelassen hat. Vielleicht um die von dir beschriebene Wölbung der Klinge zu korrigieren?

Ich würde sagen, da hast du schon durchaus ein eigenes Konstrukt erschaffen. Respekt und schön das es erfolgreich verlief.  dh:

Tosca

Eine sehr interessante Vorgehensweise Standlinie. Vielen Dank für diese Idee und Ausführungen!
Ich kann mir gut vorstellen, dass eine solche Änderung  des Deckels, durchaus seine Vorzüge haben kann.

Rockabillyhelge

Das nächste Experiment und der nächste wirklich lesenswerte Artikel, Vielen Dank  :D dh:

Ich muss aber sagen, dass das Klingenspiel schon etwas respekteinflößend aussieht, der beisst jetzt wirklich nicht mit seiner mittig exponierten Klinge?
Auch mit Bart immer gut rasiert :)

Standlinie

Zitat von: Rockabillyhelge am 10. Juli 2020, 21:49:43
Das nächste Experiment und der nächste wirklich lesenswerte Artikel, Vielen Dank  :D dh:

Ich muss aber sagen, dass das Klingenspiel schon etwas respekteinflößend aussieht, der beisst jetzt wirklich nicht mit seiner mittig exponierten Klinge?

Der Hobel rasiert ausgesprochen gut, ich schätze mal ganz vorsichtig auf dem Niveau eines Ikon OC, 1. Serie. Das Rasierklingenspiel ist immer eine relative Größe. Ich messe den freistehenden Spalt unter der Klingenschneide und parallel zur Rasierklinge. Dieser Wert sagt "eigentlich" nicht viel aus, denn der Überstand der Schaumkante an der Grundplatte spielt auch noch mit im Team. Das Experiment hat geklappt und ich bin wieder eine Erfahrung reicher.
Vielleicht sollte ich diese Erfahrung mal bei einem Gillette Tech anwenden. Vielleicht wird dann ja aus einem zahmen Schoßhündchen ein kleiner giftigerer Terrier. Mal sehen.   :angel:
Die Nachhaltigkeit einer gründlichen Nassrasur zeigt sich 24 Stunden später an nur gering und gleichmäßig nachgewachsenen Bartstoppeln.