Allgemeine Duftrichtungen: Animalisch und würzig-aromatisch

Begonnen von baknip, 24. September 2020, 14:00:31

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

baknip

Duschgelparfüm ist eine Möglichkeit, sich zum Abschluss der Nassrasur zu beduften. Man sprüht ein paar Mal, riecht sofort wie ein Waschmittelfrischebrunnen und noch nach Stunden klebt ein und derselbe Duft wie zementiert auf der Haut. Ist dieser Typ Duft genau das, was Du suchst, solltest Du an dieser Stelle mit dem Lesen aufhören und den Thread wechseln.
Hier geht es um betont würzige, animalische oder vergoren blumige Düfte, die üblicherweise nicht zum Repertoire von Standardparfümerien gehören – exzentrische Düfte, schmuddelige Düfte oder kurzum Stinker.



Düfte mit gehaltvoller Würze polarisieren und hier im Forum waren die Schmuddelkönige immer mal wieder Thema. Für Oberloser sind sie ,,eine echte Herausforderung für Leute, die diese Art von Düften mögen, um ihnen etwas Besonderes zu bieten". DeSchulz assoziiert mit hochgezogenen Mundwinkeln einen Pumakäfig und Henning sprüht Mazzolari Lui ,,hauchdünn in die Hand und verteilte es auf den Wangen ... der Duft ist berauschend sinnlich".

Für unseren Sparfuchs Kriklkrakl sind an Puma-, Luchs- oder Tigerkäfig erinnernde Parfüms "eher was für abends". Prince Denmarks Freundin ist auf seinen süß-animalisch-verwegen Duft mit Bibergeil-Indigrenzie gar direkt angesprungen – ob das abends war und wie es weiterging führt er nicht aus.

Von Guilty habe ich noch diese herrliche Geschichte einer Familienfeier im Kopf, bei der Leute am gedeckten Tisch sein wohldosiert aufgetragenes Penhaligon's Hammam Bouquet nicht gerade amüsant und appetitfördernd fanden. Selbst habe ich auch ein paar Erfahrungen wie Guilty gemacht, und hier wahrscheinlich noch anderen.

,,Grade die etwas schwierigeren Düfte machen mir ja grade deshalb Spaß, weil man eine Weile braucht bis man hinter ihr Geheimnis kommt" sagt Tim Buktu – und, ,,dass wir noch keinen Strang zu animalischen Düften haben". Jetzt schon.

Worüber wir konkret plaudern wollen? Klassiker dieses Duftgenres sind Musk Blend No. 1, Kouros, Muscs Koublaï Khän, Lui und Jules, etwas neueren Datums etwa Absolue Pour Le Soir, Zafar und Musc Ravageur und vergleichsweise frisch was das Erscheinungsjahr betrifft, Hyrax. Aus heutiger Sicht gehören hier auch einige ältere Herrendüfte her, die keinesfalls mehr dem Zeitgeist entsprechen, zum Beispiel Aramis in seiner alten Zusammensetzung.




Freies Ausspucken verboten

Oberloser

Apropo "Absolue pour le soir"........ :)

Generell mag ich die Düfte von Maison Francis Kurkdjian sehr, der Maître ist in Frankreich ein berühmter, vielseitiger Künstler, der übrigens das "Le Male" von Jean Paul Gaultier kreiert hat. Sein orangiges "Apom" ist eines meiner Lieblingsdüfte. Nix wirklich schlimmes, sondern bestimmt einfach nur gut gemacht, dachte ich daher, als ich aufgrund der sehr kontroversen Kommentare bei Parfumo einen lieben Freund um eine Duftprobe seines "Absolue pour le soir" bat.

Doch obwohl vorgewarnt, hat mich das Absolue regelrecht erschreckt. Ich bin kein unbedarfter Anfänger, aber auf diese olfaktorische Sprenggranate war ich nicht vorbereitet. Ungereinigte Autobahntoilette war die erste Assoziation, die mir durchs Hirn schoß, als ich unmittelbar nach dem auftragen den ersten Schnuppertest vornahm.

Man muß schon stark bleiben (diese Haftbombe lässt sich sowieso nicht mal eben abwaschen, denn über Wasser und Seife lacht das Pour le Soir nur) um diese animal-fäkalische Note, die von meiner Nase zunächst sooooooo penetrant mit abgestandenem Urin assoziiert wurde, auszuhalten - wird dann aber für seine Beherztheit einige Zeit später belohnt, in dem sich eine echt leckere und annehmbare Honigduftnote "einmischt", einiges umkehrt und den Duft tatsächlich wieder interessant macht und man sich damit durchaus anfreunden und ihn sogar mögen ,,kann".

Ich glaube, diese Mischung wird für alle Zeit in meinem Langzeitgedächtnis bewahrt.

Das Zeug ist zwar qualitativ super und ein seeehr extremes Dufterlebnis, dazu ein Megamonster in Sillage und Haltbarkeit -  gleichwohl für mich absolut untragbar (und dabei bin ich echt ein Fan von heftigen Wummsern), ich wüsste aber schlicht keine Gelegenheit oder Anlass, wo ich ihn tragen könnte. Nicht im privaten Bereich und außerhalb schon gar nicht, absolut unmöglich!

Außerdem hasst meine Frau dieses Tier wie die Pest, wobei das Absolue verglichen mit dem ,,Zoologist" von Hyrax noch ein zahmes Tierchen ist. Selbst an die heftigen Montales und Amouages hat sie sich im Laufe der Zeit gewöhnt, aber das Pour le Soir ist eines der wenigen absoluten No go's für sie, weswegen ich die Finger von dem dirty Honey lasse  ;D

kriklkrakl

Manche Entwicklung bekommt man einfach nicht mit, auch weil man am hergebrachten festhält..

Die Tierdüfte haben sich weiterentwickelt, vielleicht auch als Spätfolge von Süskinds 'Das Parfüm', in Richtung Intimität und Nähe:
https://www.stern.de/lifestyle/leute/parfuemerie-jungfrauenduft-und-jauchenaroma-3328200.html

Früher wars einfach, animalisch = vordergründig aufdringlich, von würzig holzig ledrig bis orientalisch, moschuslastige Reviermarker

Heute dagegen, animalisch = das Tier lauert verborgen hinter delikatem Süßkram, kuscheligem Wäsche- Creme- und Babypuderduft, sogar nachgemachtem Jungfrauenaroma (sic!*), vibrierende Wohlfühlgerüche. Meist Unisex, Skin Scents, alltagstauglich.

z.b.
Musks Kublai Khan (Serge Lutens)

*Pure eVe - Just Pure (The different Company), früher 'Virgin Number One'

Carnicure (Marlou), früher 'Animal sauvage'

Amour (Kenzo)


Richtig gutgemachtes 'Oud Atta' EdT lass ich mal aussen vor.
Hochwertiges Ausgangsmaterial bleibt selten und extrem überteuert, es wird dann dermassen homöopathisch runterverdünnt, bis mans kaum noch vom Billigen unterscheiden kann.
"Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,..
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen."
Faust I,Mephistopheles

Tim Buktu


2 sehr verschiedene Vertreter der animalisch-würzig-aromatischen Richtung, die doch einige Gemeinsamkeiten miteinander verbinden und mich in andere Welten versetzen:



Zoologist "Macaque"









und

"MEM" von bogue






Die verbindenden Elemente sind ihre Dichte, Komplexität, die animalische Anmutung und fruchtbetonte Blütenfülle.

Sie unterscheiden sich in einer beim MEM eher honigbetonten matt-dunklen Blütenwürze, die hinterlegt mit einem minzfrischen Eindruck eine Samtigkeit vermittelt, die in ihrer Opulenz fast überwältigt, aber mich zum Glück nicht überfordert, sondern an ein angenehmes schwitziges Gedränge erinnert. Ein wenig zu süß, dieses Gedränge. Haarfülle und Haarpracht. Aber so würzig und noch angenehm süß, dass mich interessiert von wem es kommt. Menschliche Körperausdünstungen. Manche behaupten Ausscheidungen. Auf Papier wird mir das MEM gegen Ende, das sehr lange auf sich warten lässt, fast zu viel. Auf der Haut von Beginn bis Ende für mich eine Reise ins dichte Gewühl der duftenden Natur der Menschlichkeit.

Im Gegensatz dazu versetzt mich das "Macaque" sofort ins schwüle grüne Tropenhaus der Wilhelma in Stuttgart. Blütenpracht im Überschwang, Früchte überreif und dazwischen Vogellärm. Affen sehe ich keine. Aber sie scheinen anwesend zu sein. Fremd und doch bekannt. Weniger Süße aber doch eine überreife Fruchtigkeit, die sich mit dem Blütenduft zu einem dichten Nebel verwebt, der zwar Schatten hat, aber hell ist. Sind ja auch tagaktiv, die Makaken. Dicht aber nicht schwer. Und irgendwann sieht man sie da sitzen. Sauber und sich genussvoll an Früchten labend. Eine Reise in die Pflanzen und Tierwelt. Nicht auf Grund eines Duftverlaufs, sondern durch eine eher gleichbleibende die Phantasie anregende Komposition, die wunderbare Bilder erzeugt. Die Animalik ist hier eher ein Eindruck, der durch die Bilder im Kopf entsteht als dass er tatsächlich zu riechen wäre.


Tranquilo - In der Ruhe liegt die Kraft...

PS: Alles nur meine persönliche Meinung, die sich durchaus beeinflussen lässt und sich deshalb gelegentlich auch ändert!

baknip

Zitat von: kriklkrakl am 25. September 2020, 07:40:15Manche Entwicklung bekommt man einfach nicht mit, auch weil man am hergebrachten festhält..

Herr Krixkraxl hatte wie immer Recht, als er mir den Finger zeigte. Sein Beitrag und die zitierte Fachreferenz haben das Thema umfassend und vorausschauend beleuchtet. Da gab es wohl nichts hinzuzufügen. Den Thread habe ich dann aus den Augen verloren, was schade ist.

Eben wurde er mir wieder vorgeschlagen. Und da die Sprachlosigkeit über die Präsenz von Auguren hier im Thread inzwischen verflogen ist, darf ich einwenden, dass Muscs Koublai Khan aus den späten 1990er Jahren stammt. Das ist in Parfumjahren gedacht nicht heute, sondern definitiv früher. Und wie "früher" der tolle Koublai Khan ist, zeigt seine Marktpräsenz: Shiseido, der Konzern hinter den Serge-Lutens-Düften, deponiert die Khan-Fläschchen wohl in kaum noch einer der ohnehin wenigen Präsenzparfümerien, die Düfte der Marke Lutens führen. Besser ist da die Verfügbarkeit von Kiehls Original Musk Blend No. 1 - dem deutlich günstigeren Pendant zum Lutens. Mir ist das Lutens lieber.




Muscs Koublai Khan riecht nach einem Moschusdurcheinander alter Bauart. Hält man die Nase unmittelbar nach dem Aufsprühen nahe an die Haut, mag man riechen, was gerne als Pippinote oder eben animalisch beschrieben wird. Weich-muffig als ungefähres Gegenteil von aquatisch-fisch finde ich treffender. Das Schöne an Muscs Koublai Khan ist für mich, dass der Duft nach den harschen Anfangsminuten nicht plötzlich weniger intensiv riecht oder einfach vom Kopf verdrängt wird. Sondern der Duft wird "schöner". In Anführungszeichen deshalb, weil schön eigentlich nicht passt. Der Duft erweckt, wenn man ihn aus einiger Entfernung riecht, den Eindruck einer gewissen Vertrautheit.

Und ja, Vertrautheit ist nicht jedermanns Sache. Wenn ich mir vorstelle, was der Herr Parfumeur von Herrn Lutens sich vorgestellt haben könnte, dass am Ende dieses Muscs Koublai Khan herauskommt? Dann wäre es ein Schlafzimmer, in dem man selbst mit einer vertrauten Person genächtigt hat. Die Fenster bleiben geschlossen, und wenn man nach dem Frühstück in das Zimmer zurückkehrt, könnte das, was noch immer in der Luft liegt, womöglich noch Muscs Koublai Khan sein.

Herr Krixkraxl, bitte übernehmen Sie!
Freies Ausspucken verboten

baknip


Dieser Jules von Dior knüpft für meinen Geschmack seitlich an Muscs Koublai Khan und den Kiehl-Oldie Original Musk Blend No. 1 an. Er nimmt etwas vom Moschuskomplex weg und verpasst dem an sich ähnlichen Basisduft mehr (Ge)Würze. Wirkt etwas weniger sinnlich und dafür männlicher. Toller Duft hinter der ersten Duftwahrnehmung. Es lohnt sich, sich diesen weniger populären Dior zu erarbeiten.

Freies Ausspucken verboten

lotse

Lieber baknip! Ich bin ja begeisterter Leser deiner Kurzreviews - Merci!
Die Moschuslinie ist zwar nicht so ganz mein Terrain - die Düfte passen nicht in meinen Alltag.
Gibt es zu Jules auch ein Jim Parfum?

baknip

Zitat von: lotse am 18. November 2023, 18:19:18Gibt es zu Jules auch ein Jim Parfum?

Französische Filmkultur und ich? Das passt nicht zusammen. Für die Liebenden an der Brücke hätte ich möglicherweise etwas parat, bei den drei Farben würde es schwer aber für den Mann mit der großen Nase? Da kommt mir nur dieser Geza-Schön-Stinker in den Sinn. Du kennst ihn, der würde hier schön in den Thread passen, aber ich nenne ihn erst mal nicht, vielleicht spielt der im Thread später noch eine Rolle. Ne, eher keine französischen Filme für mich Banause.
Freies Ausspucken verboten

baknip

Diesem ausdrucksstarken und ganz schön eigenwilligen Mr. Hardcastle verdanke ich Musc Ravageur. Er hat ihn mir in seinem Laden schmackhaft gemacht. Musc Ravageur gehört zu der vielleicht etwas überlobten Duftreihe Editions de Parfums Frédéric Malle und beamt das Thema Schwitzmoschus in die Gegenwart. Entsprechend modern und stylish kommt der Duft daher, weder männlich noch  weiblich, sondern einfach positiv zeitgemäß.



Was Du riechst, mutet banal an: Ein Moschusallerlei, ziemlich modern im Vergleich zu MKK von Lutens, dem Kiehls oder dem Jules. Und Zimt, sehr leckerer Zimt. Etwas süßer ausgelegt und weniger kerlig. Bleiben wir beim Bild des benutzten Schlafzimmers von weiter oben. Wieder hat unser Paar zusammen geschlafen, auch hier wurde nicht gelüftet, aber es scheint eher ein neuzeitliches Stadthotel zu sein, das dem menschlichen Odeur weniger Eigenmuff durch Gardinen und Teppiche hinzufügt. Und unser Paar ist wohl ein paar Jahre jünger oder jung geblieben.
Freies Ausspucken verboten

Tim Buktu

Vertrautheit - Schlafzimmer
Stichworte solcher Art wecken meine Neugier auch wenn der Duft keine Alltagstauglichkeit verspricht. Eine Duftreise der besonderen Art könnte sich im Flakon verbergen.
Tranquilo - In der Ruhe liegt die Kraft...

PS: Alles nur meine persönliche Meinung, die sich durchaus beeinflussen lässt und sich deshalb gelegentlich auch ändert!

baknip

Der Duft der Hundert Flakons und fast ebenso vieler Duftkonzentrationen. Es gibt ihn in zig verschiedenen Fläschchen, die in meinen Augen eines gemeinsam haben: So grässlich hässlich, um mal DÖF zu zitieren. Ich war hinter dem Cologne her, es soll die kantige Variante von Bal à Versailles sein. Kantig ja, aber mir fehlt der Vergleich zu den anderen Duftkonzentrationen. Das Bal à Versailles, das ich hier habe, riecht jedenfalls wie ein grauer Vorfahre von Tim Buktus MEM, wegen des verwelkten Blütenteppichs. Oder wie ein Tabac Blonde oder Coupe de Fuet - beides harsche Duftoldies von Caron. Oder wie ein Bay Rhum mit ebendiesem Blumenzeugs. Ist laut und angenehm für die traditionelle Nassrasur. Leider mit wenig Haltbarkeit.

Freies Ausspucken verboten