Thema Schärfen: Schneidfacette, zweite Schneidfacette und Balligkeit.

Begonnen von harrykoeln, 20. Mai 2008, 08:11:11

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harrykoeln

Thema Balligkeit/ 2.Schneidenwinkel.
Ich hab da so meine Theorie die auf eigenen Beobachtungen und empirischen Werten beruht.
Wenn ich ein Messer gerade frisch vom Stein hab, habe ich dadurch, das der Rücken und die Schneide beim Schleifen aufliegen eine genau definierte Geometrie der Facette nämlich ein im Idealfalle Dreieck. Das läuft im schneidenden Grat aus. Der ist natürlich sauscharf. Aber auch dünn, sehr zerbrechlich und daher auch sehr empfindlich. Wird dieser Grat nun zum Schneiden eines Haares (was eine Herausvorderung für jede Schneide darstellt) quasi vergewaltigt, wird er sich mangels Materialmasse dahinter umlegen, verbiegen oder was auch immer. Jedenfalls wird er sich verändern - und damit Schnitthaltigkeit verlieren.

Genau ausgeschliffene und geradlinig definierte Schneidfacette ist zwar optimal scharf, aber zu empfindlich.

Das andere Extrem ist die ballige Schneide.
Ist eine Schneide ballig, ist dieses definierte Dreieck der Schneidfacette zum schneidenden Grat hin abgerundet, abgefast. Im Idealfalle Kreis(ausschnitt)rund. Durch die Rundung ist natürlich die maximale Masse an den Grat verbracht. Das hat nur einen gravierenden Nachteil: Auf dem Grat kannst Du reiten, weil die quasi massegewordene Stumpfheit.

Beide Extreme sind suboptimal. Also müssen wir dazwischen die Grätsche machen.

Meine Beobachtungen ergeben nu Folgendes:
Hab ich ein Messer frisch geschliffen und geledert, steht das Messer dort noch keineswegs auf dem Zenit seiner Schärfe. Denn die erste Rasur ist keineswegs die beste. Auch nach der ersten Rasur gelingt dieser blöde Haartest nicht unbedingt auf gesamter Klingenbreite. Ich hab festgestellt, das die (meisten) Messer etwa 5-10 Rasuren lang von Rasur zu Rasur besser werden. Sanfter vor allen Dingen.
Nach 5-10 Rasuren bezeichne ich persönlich dann ein Messer als einrasiert - dann fliegen die Haare auch unabgezogen oder nach der Rasur.

Könnt ihr das bestätigen oder widerlegen?
"The two most common things in the universe are hydrogen and stupidity.
There is more stupidity around than hydrogen, and it has a longer shelf life."
Frank Zappa (1940-1993)

Tim Buktu

Hallo harry...,
also ob ich das nun wirklich bestätigen kann ist mir nicht ganz klar  ??? . Gelegentlich ging´s mir aber schon so, dass ich im Verlauf vom Gebrauch eines Messers über längere Zeit den Eindruck hatte, dass es nicht mehr so ruppig rasiert. Wenn also ein Messer nach dem Schleifen noch nicht so ganz befriedigend will, lass ich ihm erst Mall noch ein paar Rasuren und entscheide dann, ob es nochmals auf den Stein, die Glasplatte oder sonstwo hin muss.
Tranquilo - In der Ruhe liegt die Kraft...

PS: Alles nur meine persönliche Meinung, die sich durchaus beeinflussen lässt und sich deshalb gelegentlich auch ändert!

Lord Vader

meine beobachtungen decken sich damit teilweise. habe auch den eindruck, dass sich ein messer erst einrasieren muss und damit auch sanfter wird. als einrasierphase hätte ich die ersten 3 - 5 rasuren bezeichnet, kann das aber nicht mit absoluter genauigkeit sagen, da ich meine messer im wechsel benutze und zwar nach gut dünken ohne feste reihenfolge. auf jeden fall ist nach den ersten 3 rasuren eine veränderung bzw. die größte veränderung zu messen.

zum thema schärfe decken sich meine erfahrungen nur teilweise. manchmal lässt die schärfe meiner meinung nach etwas nach und es stellt sich eine gute gebrauchssärfe ein. werde aber bei den nächsten schärfdurchläufen mal gezielt darauf achten. wäre ja irgendwie logischer, wenn die schärfe noch leicht zunimmt, da man den grat ja "züchtet". auf jeden fall ist dieser eindruck subjektiv, da ich die messer immer wechsel und einen schärfevergleich zwwischen verschiedenen messern nicht wissenschaftlich geführt habe. außerdem bin ich mit dem pasten vorsichtig, so dass ich manchmal noch nach ein der ersten rasur etwas nachpasten muss, bis ich bei meiner gebrauchsschärfe angelangt bin.

lg lord

moviemaniac

Da gehe ich mit dir in weiten Teilen konform, Harry. Die Amis stehen auf ihre 15000er und 30000er Steine, brauchen danach aber dennoch noch Chromoxid, um in diesem Fall die Schneide wieder abzustumpfen. Die Rasur vom 30000er weg geht nicht. Die Amis kompensieren das auch teilweise durch das Schleifen eines 2. Winkels mittels Abkleben(!).
Meiner Meinung nach ist das Pasten der essentielle Teil beim Schärfen, da durch das leichte Durchhängen des Riemens die Klinge wieder leicht ballig gemacht wird und erst dadurch ein stabiler 2. Schneidenwinkel entstehen kann. Das merkt man auch daran, dass gerade beim Pasten viel falsch gemacht werden kann. Zu wenig pasten oder zu viel pasten, Winkel mal flacher, mal steiler, je nach Messer und Hohlung.

Zum Einrasieren: Dazu hab' ich noch keine Erfahrungen, dazu setze ich meine Messer zu stark in der Rotation ein und benutze keines mehrere Tage hintereinander um das wirklich beobachten zu können. Mag aber sein, dass sich der Stahl durchaus einrasiert und durch die Beanspruchung der Schneide diese bei den ersten Rasuren noch umgeformt wird - im 10tel Mikrometerbereich.

Iltis

Hallo Zusammen,
In der Thread "Der Heilige Grat" schrieb Senser:

Auf der Mikroskopie Seite wird zurecht von der Verwendung von Schleifpaste abgeraten. Jedenfalls bei Kohlenstoff Stahl halte ich das letztlich für besser, vorausgesetzt, man hat Steine von ausreichender Feinheit. Gerade nachdem ich den Link von der Mikraskopieseite eingestellt habe und dann auch selbst nochmal gelesen hatte, fiel mir ein, dass wir viel zu lange und intensiv über die ganzen Pasten, Tricks und den Voodoo diskutiert haben.
"Back to the roots" sagte ich mir und habe ein Dorko aufgearbeitet. 6/8" Vollhohl. von 1000er über 2000er AOTO über GBB über 8ooo er King über 10.000 er King. Und jetzt nur den unbehandelteten Juchtenriemen etwa 30 Züge je Seite.
PERFEKT, absolut PERFEKT

Ich komme auch ohne Pasten nicht klar - mit Zahnpaste auf ein Arkansas Hard Stein als Schleifbank kann ich (manchmal) eine Schärfe erzeugen das der Haartest klappt, aber wenn ich danach nur auf Leder abziehe, ist der Rasur danach sehr unbequem, und das Messer, egal wie gut, besteht danach keine Haartest mehr. Mit abziehen auf Chromoxid auf ein Spannriemen  und ledern (ich mach 10 Züge Paste, dann 50 Leder, dann Haartest probieren, wenns klappt, gut, wenn nicht weiter 10/50 und wieder probieren, und so weiter), kriege ich eine Schärfe und Schnitthaltigkeit hin, dass bei ein gutes Messer (meistens alte Engländer, aber auch Dorko und Hoppe) auch nach der Rasur der Haartest besteht.
Wie das mit der Geometrie der Schneide zusammenhängt ist eine Frage das mich theoretisch interessiert; um sie zu beantworten bräuchte man ein Mikroskop um der Form der Schneide zu untersuchen, und am Besten gleich Fotos davon. Praktisch beobachtet, ist es auch meinem Empfinden, das ein Messer nach einige Rasuren sanfter rasiert. Ich meine auch beobachtet zu haben, das wenn ein Messer mindest ein Tag nach das Schärfen "ruht", ist die Rasur danach auch gründlicher und angenehmer als frisch von die Steine. Das ist aber ein Gefühl - sowas objektiv zu beurteilen  ist meines Erachtens unmöglich, da ein direkten Vergleich nicht möglich ist, auch (theoretisch...) erklären kann ich es mir nicht. Scheint aber so zu sein.

@ Moviemaniac: wie soll das gehen mit abkleben um ein 2. Winkel anschleifen durch Abkleben? kannst du das näher erklären?

Grüß

Iltis




   
de gustibus, aut bene aut nihil

moviemaniac

@Iltis: Auch ich komme ohne Pasten nicht klar. Das liegt daran: Durch den Durchhang des Riemens beim Pasten und die feine abrasive Wirkung derselben wird ganz vorne die Schneide des Messers nochmal in einem stumpferen Winkel geschliffen als auf den Steinen - das ist der zweite Schneidenwinkel, der Grat, der mit den Steinen wohl nur sehr schwer erzeugt werden kann und dadurch, dass er in einem stumpferen Winkel geschliffen wird als der Rest der Facette, ist er haltbarer, widerstandsfähiger, er übersteht die Rasur und erlaubt auch danach noch den Haartest.

Zum Abkleben: Genau genommen versuchen manche Amis, eine Hobelklinge, die drei Schneidenwinkel hat, nachzuahmen. Sie schärfen das Messer ganz normal durch. Auf dem feinsten Stein wird erst ein normaler Durchgang durchgeführt, dann wird der Rücken abgeklebt. Beim nun folgenden Durchgang wird vorne ein sehr kleiner Teil der Facette in einem anderen (2.) Winkel geschliffen, der unter der Lupe als Stufe erkennbar ist. Wenn man danach noch pastet, wird vorne an diesem 2. Schneidenwinkel ein 3. erzeugt - der Grat. Diese Messer sollen angeblich leichter nachzuschärfen (weil nur ein kleiner Teil, der abgeklebt wurde, nachgeschärft werden muss) und standfester sein durch den stumpferen Winkel des 2. und 3. Klingenwinkels. Naja, man mag davon halten, was man will, aber generell muss ich sagen, dass sich unsere "deutschen" Schärftechniken ohnehin stark von den Amis unterscheiden, die oftmals auf sündteuren 30000ern feinstpolieren und oft auch gar nicht pasten und wenn, dann viel aggressivere Diamantpasten verwenden....

matjes

Der zweite Grat. Für einige unverzichtbar, für andere nur Voodoo.

Ich habe hier ein paar Messer zurückbekommen, mit denen ich nie klar kam. Die waren zwar scharf, aber doch kratzig und unsanft, haben mir die Lust an der Messerrasur vergällt. Meine doch sehr empfindliche Haut hat mir bei fast allen Rasuren Blut beschert.

Mein persönlicher Schleifguru, El Topo, hat diesen Messern einen zweiten Grad auf dem Finisher verpaßt. Und ich erkenne diese Messer nicht wieder!
Zu scharf kommt nun auch sanft hinzu. Das ist keine Einbildung meinerseits, ich kriege mit den neu geschliffenen Messern Rasuren hin, von denen ich bisher nur träumte!

Für mich ist der zweite Grat kein Voodoo, ich spüre den Unterschied deutlich.

El Topo

Zitat von: Matjes am 24. November 2009, 20:21:56
El Topo, hat diesen Messern einen zweiten Grad auf dem Finisher verpaßt. Und ich erkenne diese Messer nicht wieder!

Da ich nach dem Finisher (Bm Schiefer) noch auf Chromoxid gehe, ist es sogar durachaus möglich, dass die Klingen einen 3. Scheidewinkel erhalten.
Bei Hobelklinge ist das ja der Standard, soweit ich weiß.

Meine subjektiven, aber nicht wissenschaftlich belegten Erfahrungen mit dem 2. Winkel (erzeugt auf Stein):

- höhere Schärfe und besser Sanftheit, als nur durch Finisher und Paste. Meine Erklärung dazu:
   Durch die erhöhte Auflagefläche erreicht man die vorderste Spitze der Klinge, schärft diese ordentlich durch und beseitig evtl. auch Bart an der Schneide
- kürzere Zeit des Einrasierens, aber einrasieren trotzdem oft notwendig
- Haartest klappt immer sehr gut nach dem Schärfen (bei normal geschärften Messern manchmal schleppend, gute Rasur aber möglich)
- Zur Standzeit kann ich derweil nicht viel sagen, der Theorie nach sollte sie höher sein
- Nach dem 2. Winkel auf Stein braucht man die Paste nicht zwangsläufig für eine gute Rasur
   Das Messer ist subjektiv schärfer, aber etwas weniger sanft. Schätze das liegt daran, dass der "abrundende" Pastenriemen fehlt.

Ich hab jetzt schon so einige Messer geschärft. Es geht auch ohne 2. Winkel, ich werde darauf abe nicht mehr verzichten. Der erhöhte Zeitaufwand von 3 Minuten rentiert sich m.M.n. vollends, Nachteile konnte ich auch nach mehreren Wochen an den Messern nicht feststellen.
Mein Tipp: Probiert es mal aus. Einfach eine oder zwei Lagen Tape extra nach dem regulären Finish + 30 Züge - fertig.
Dansch noch nach Bedarf Pasten und Ledern. Rasieren und (hoffentlich) staunen  :)
Schöne Grüße aus dem Maulwurfshügel!


matjes

Zitat von: El Topo am 24. November 2009, 20:49:29
... Rasieren und (hoffentlich) staunen  :)

Ich staune immer noch.
Grundgütiger, was hast Du aus meinem Friodur gemacht! Das erkenne ich nicht wieder!

El Topo

Freut mich zu hören  :D

Jetzt bin ich mal auf deinen Langzeitbericht gespannt:
Ich hab selbst auch ein Friodur, eins der wenigen Messer, die ich normal geschärft habe (Finisher und Paste).
Das Messer ist sehr gut, allerdings hat es jetzt doch angefangen, in letzter Zeit unsanft zu werden.
Anfangs war es locker genauso scharf und sanft wie deines, hat aber schon nachgelassen, einmal hab ich es auf dem Pastenriemen schon abgezogen.

Wenn dein Friodur über einen längeren Zeitraum so sanft wie jetzt bleibt, kann man das ja vielleicht als kleinen Beweis für die Wirksamkeit eines
2. Winkels, erzeugt auf dem Stein, betrachten.
Schöne Grüße aus dem Maulwurfshügel!


kalle o

@Harry

ich persönlich kann auch bestätigen, dass Messer nach dem Schärfen einrasiert besser funktionieren. Das ist m.E. nicht  unbedingt eine Frage der Schärfe, sondern vor allem der "Sanftheit". Insbesondere wenn es nach etwa 10 Rasuren noch einmal über CrOx- und Leder geht, wird das Messer erst richtig perfekt. Dann vereint es vielleicht durch die zwischenzeitlich eingetretene Balligkeit in Verbindung mit der Ausarbeitung eines perfekten Grates durch das Ledern beide Eigenschaften.


Dullblade

Das Ganze habe ich schon einmal durchdiskutiert:

http://forum.nassrasur.com/showtopic.php?threadid=9236&highlight=

Ich komme zu dem Ergebnis, dass bei vielen Messern das finale anschleifen mit einer (eventuell weiteren) Lage Klebeband die Standzeit erheblich verbessert und das Messer sanfter macht. Ich vermute kurzgefasst, dass das steilere finale Schleifen Gratränder, Bartreste und sonstige Unregelmäßigkeiten entfernt.

Ich habe das auch bei meinem Japaner gemacht, mit gutem Ergebnis, glaube aber im Nachhinein, dass bei dieser Art Messer und dem sehr harten Stahl ein Verzicht eventuell besser gewesen wäre. Die Zukunft wirds irgendwann zeigen.

Pepe

Zitat von: El Topo am 24. November 2009, 20:49:29
...der erhöhte Zeitaufwand von 3 Minuten rentiert sich m.M.n. vollends, Nachteile konnte ich auch nach mehreren Wochen an den Messern nicht feststellen.
Mein Tipp: Probiert es mal aus. Einfach eine oder zwei Lagen Tape extra nach dem regulären Finish + 30 Züge - fertig.
Dansch noch nach Bedarf Pasten und Ledern. Rasieren und (hoffentlich) staunen  :)

Frage: verstehe ich das richtig?
1)Du klebst den Rücken mit einer Schicht Tape ab und schärfst es durch über alle Steine (zwischenzeitiges Erneuern des Tapes ist eh klar)
2) Dann klebst Du eine 2. Lage Tape auf den Messerrücken und machst auf dem letzten Stein zusätzlich rund 30 Schübe? pro Seite unterstelle ich mal ?!
3) Wenn Du auf Chromoxid wechselst, entfernst Du dann das Tape oder lässt Du es auf dem Pastenriemen noch drauf?
4) Beim Ledern auf dem Naturleder ist dann aber kein Tape  drauf ?! oder??

Dullblade

Die Frage ging zwar an el topo, aber ich glaube Du siehst das richtig:

Erst alle Steine durchschleifen (egal ob ohne, oder mit einer Lage Klebeband, dies ist bei mir vom Messer abhängig, bei einem Messer nehm ich sogar 2 Lagen; früher hab ich mir das Mal ausgerechnet, dass alle meine Messer einen Winkel von ung. 17-18° haben))
nach dem letzten Steine noch eine Lage drauf und wenige Schübe pro Seite (ich mach meist so 20/20), danach ziehe ich vielleicht sogar noch ein, zweimal hin und her (richtig hin und her, aber nur ganz sanft, ohne viel Druck)

Pasten und Ledern kommt dann ohne Klebeband, da man hier durch den Durchhang fühlt und hört, wann das Leder die Spitze "berührt" und die Feinstarbeit macht.

Meines Erachtens erhöhr dies die Standzeit ungemein und die Rasur ist sofort sanft (oder eben nicht), ein sogenannten Einrasieren kann ich danach kaum noch feststellen.

Tim_gs

Ich hab da eben mal etwas Dokumentiert. Ob es nützlich, hilfreich oder nicht zu gebrauchen ist, könnt ihr ja entscheiden.

Ich habe eben bei einem Messer einen zweiten Winkel erzeugt und ein paar Bilder davon gemacht.

Das Bild zeigt den 2. Winkel der gerade erzeugt wurde.


Dieses Bild zeigt die Klinge nach dem 8.000er.


Das gleiche nach etwas Passte (Polierrot)


Noch mehr Passte und einige Züge auf Leder.