Biografie King Camp Gillette

Begonnen von kimeter, 06. April 2008, 21:45:50

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kimeter

"Der Gillette Klingen-Rasier"

1.Teil
Der Klingenrasierer
Seine Eltern müssen schon früh geahnt haben, dass ihr Jüngster als Auserwählter geboren wurde. Sie nannten ihn King - König. Und am Ende seines Lebens, mit 72, konnte ebendieser King 1926 in der Tat mit der eines Königs würdigen Bescheidenheit feststellen: "Der Gillette-Rasierer hat eine ganze Industrie ebenso revolutioniert wie den Rasiervorgang selbst, und bis zu einem gewissen Grad hat er gar Gewohnheiten (des männlichen Teils) der Menschheit geändert. Es gibt keinen anderen Artikel des täglichen Gebrauchs, der weltweit so bekannt oder verbreitet ist."

King Camp Gillette selbst, 1855 in Fond du Lac im US-Bundesstaat Wisconsin geboren und in Chicago aufgewachsen, hat offenbar nie an seinen Fähigkeiten auch nur im leisesten gezweifelt. Schon in jungen Jahren beschloss er - genau wie seine drei älteren Brüder und der Vater - Erfinder zu werden. Ohne viel Erfolg allerdings. Als dann Gillettes Familie zu allem Übel noch bankrott gegangen war, blieb dem 17jährigen King nichts anderes übrig, als sich als Handelsreisender zu verdingen, ein Gewerbe, dem er 20 Jahre lang, bis zu seiner Heirat im Jahr 1892, die Treue hielt.

Nie hatte er derweil freilich sein Ziel, ein großer Erfinder zu werden, aus den Augen verloren. William Painter, ein Berufskollege, dem wir den Kronkorken zum Verschließen von Flaschen verdanken, empfahl dem ruhmsüchtigen Gillette, seine Talente - wie er - auf die Erfindung eines Gegenstands des täglichen Bedarfs zum Wegwerfen zu konzentrieren. Die Idee überzeugte Gillette. Er begann das Alphabet nach Dingen abzuklappern, die die Leute häufig benutzten, in der Hoffnung, auf diese Weise inspiriert zu werden.

Aber die Erleuchtung kam ihm erst eines Sommermorgens im Jahr 1895 in seinem Heim in Brookline, Massachusetts. Als er an jenem Morgen zum Rasieren vor den Spiegel getreten war, bemerkte er, dass sein Rasiermesser so stumpf war, dass er es weder gebrauchen noch selbst wieder schärfen konnte. Und da war plötzlich die Idee eines völlig neuen Rasiergeräts, auf austauschbaren Klingen basierend, in seinem Kopf: ein sehr dünnes, an beiden Seiten geschliffenes Stahlstück, ein Handgriff und daran rechtwinklig eine Halterung zum Festmachen der Klinge. Gillette war überzeugt, dass dieses Ding die große Erfindung war, nach der er gesucht hatte: Schnell, billig und mit dem unschätzbaren Vorteil, dass man sich dabei nicht dauernd den Hals zerschnitt. "Ich stand in wahrem Freudentaumel vor dem Spiegel", schrieb er seiner Frau in den Urlaub. "Ich habe es gefunden. Unsere Zukunft ist gesichert."...


kimeter

2.Teil
1901 endlich fand er im Mechaniker William Nickerson einen Partner, der willens und fähig war, die technischen Probleme zu lösen. Zu diesem Zweck konstruierte er Maschinen, die in ihrer Art so neu waren, wie das herzustellende Rasiergerät selbst. 1903 war es dann soweit, dass mit der serienmäßigen Herstellung begonnen werden konnte. In einer Wirtschaftszeitschrift wurde der neue Apparat, dreifach versilbert, mit 20 Ersatzklingen in einem hübschen Etui, zum Preis von 5 Dollar angepriesen mit einer "Erfolg-oder-Geld-zurück"-Garantie. Bis Ende des Jahres konnten damit freilich nicht mehr als 51 Rasiersets und 168 Klingen abgesetzt werden. Nur ein Jahr später sah die Bilanz schon ganz anders aus: 90.000 Rasierer und mehr als eine Million Klingen waren verkauft.

Den entscheidenden Schritt nach vorn, der buchstäblich das Gesicht der ganzen Männerwelt verändern sollte, machte Gillette allerdings dann nicht aus eigener Kraft: 1917, als die USA in den Krieg eingriffen, sorgte die Regierung um das äußere Erscheinungsbild ihrer Truppe und stattete, dem Beispiel Frankreichs folgend, die ganze Streitmacht mit Gillettes Sicherheitsrasierer aus: Die einmalige Bestellung lautete auf 3,5 Millionen Apparate und 36 Millionen Klingen. Zurück vom Schlachtfeld, benutzten dann Millionen Amerikaner den Apparat mit den Doppelklingen zu Hause weiter.

Wie kaum ein anderer Erfinder verband der eitle und selbstbewusste King Camp Gillette das Schicksal seiner Schöpfung mit dem seiner eigenen Person. Von Anfang an zierten sein Porträt und sein eigenhändiger Namenszug die Verpackung seiner Klingen. Man geht darum wohl kaum fehl in der Annahme, dass Gillette - obwohl er die Lancierung er ersten Elektrorasierer gerade noch erlebte - 1932 in der Gewissheit starb, die zum besten und praktischsten Rasierapparat aller Zeiten gehabt zu haben. Hand aufs Herz: Wer wollte dies bestreiten?

Quelle:
Buch: Dauerbrenner; Von Dingen, die perfekt auf die Welt kamen
Autor: Joerg Aeschbacher; Verlag: Ullstein Sachbuch
ISBN: 3-548-35390-8

www.gillette.com


Quelle:
http://www.erfinder.at/gillette.php



Guilty

Danke für die gute und wissenswerte Lektüre kimeter.Gibts noch mehr davon?

kimeter

#3
Nein, den Link habe ich eben im Netz gefunden. Ich suche zur Zeit nach einer Bezugsquelle wo der Systemrasierer Gillette GII noch zu erwerben ist. War leider nicht erfolgreich. Dabei habe ich die interessante Seite gesehen.


Edit:
Guilty, soeben gefunden:  Die Patent Zeichnung des Nass-Rasierers von King Gillette



Quelle:
http://www.wdr.de/themen/kultur/stichtag/2005/01/05.jhtml

AMU

@ kimeter, ist das der mit der schwarzen Zweierklinge OHNE Gleitstreifen und Griff aus Metall? , der hängt in CZ im Drogeriemarkt noch neu an der Wand.

kimeter

#5
Hier ein Bild von King Camp Gillette

Quelle:
http://www.wissen.de/wde/generator/wissen/ressorts/technik/index,page=1110274,chunk=img_0.html



noch ein Bild

Quelle:
http://www.focus.de/finanzen/news/nassrasierer_aid_65948.html




@Auf_Messer_Umsteiger
Ja, ich meine den aus dem Testbericht. https://www.gut-rasiert.de/forum/index.php?topic=1188.15
Im Internet habe ich kein Shop oder dergleichen gefunden. Auch auf ebay oder Amazon seit langer Zeit kein Angebot mehr.
Ich selbst besitze ja zwei Stück und bin sehr zufrieden damit. Ist das wirklich der, der bei euch im Drogeriemarkt hängt ? Was kostet der denn ?

AMU

Hmm. so genau habe ich da gar nicht hingeschaut, aber vielleicht findet mann online was.

kimeter

1.Teil

     King Champ Gillette wurde am 5. Januar 1855 in Fond du Lac, Wisconsin als Sohn des zeitweiligen Postamtsvorstehers, Wochenzeitungsredakteurs und Hobby-Erfinders George W. Gillette geboren. Im Alter von vier Jahren zog er mit seinen Eltern nach Chicago. Dort arbeitete der Vater als Patentanwalt und versuchte, eine Maschine zur Produktion von Dachschindeln zu vermarkten. Nebenbei betrieb er noch einige Großhandels-Eisenwarengeschäfte.
     Biograf Russel vermutet einen prägenden Einfluss von Gillettes Mutter auf das Leistungsethos des späteren Erfinders und Unternehmers: "Madame Gillette war eine strenge Zuchtmeisterin, die ihren Haushalt stets unter Kontrolle hatte; und wenn sie oft Entschuldigungen für die Fehler anderer fand, so erwartete sie von ihren eigenen Kindern ein nahezu perfektes Verhalten. Es ist wahrscheinlich ihrem Einfluss zuzuschreiben, dass King Gillette seinen lebenslangen Glauben an Effizienz und seine Abneigung gegen Zeitverschwendung entwickelte." Landesweit bekannt wurde Gillettes Mutter später durch die Veröffentlichung von Kochbuch-Bestsellern.
     In den 1860er Jahren besuchte King Champ Gillette mit seinen beiden älteren Brüdern in Chicago öffentliche Schulen. "Falls sie untätig waren, wurden sie dazu angehalten, manuell zu arbeiten und herauszufinden, wie die Dinge funktionierten und wie sie gemacht sein könnten, um besser zu funktionieren." Hier haben wir bereits einige grundlegende Sozialisationsmuster, die den jungen Gillette dazu anhielten, selbstständig nach Verbesserungen der vorgefundenen Verhältnisse zu suchen - sowohl auf technischem als auch auf sozialem Gebiet. Seine Familie beschrieb Gillette später einmal als "durch enge Bande der Zuneigung und des gemeinsamen Interesses miteinander verbunden".
     Nach dem großen Feuer von 1871, das 17.500 der Holzhäuser Chicagos (darunter auch das der Gillettes) zerstörte, zog die Familie nach New York, wo George W. Gillette mit den beiden älteren Söhnen ein Eisenwaren-Handelsgeschäft eröffnete. King Champ Gillette war zu dieser Zeit siebzehn Jahre alt und arbeitete als Angestellter in der gleichen Branche im Großhandelsgeschäft von Seeberger & Breakey in Chicago. Nach zwei Jahren wechselte er zu einem New Yorker Eisenwaren-Unternehmen und fuhr mit 21 Jahren schließlich als Handelsreisender für eine Firma in Kansas City durch die Vereinigten Staaten.
     Gillette machte zu dieser Zeit seine ersten Erfindungen und ließ sich 1979 eine Kombination aus einem Ventil und einem Lagerfutter für Wasserhähne patentieren. Vier Jahre später erhielt er ein weiteres Patent für eine Weiterentwicklung dieser Konstruktion und gründete mit seinem Bruder George die Gillette Tap Valve & Faucet Company. 1889 wurde den Brüdern ein Patent für zwei verschiedene Ausführungen von Rohrleitungen für elektrische Kabel erteilt. Keines dieser Patente war jedoch wirklich profitabel. Gillette bemerkte später, dass seine frühen Erfindungen "anderen Geld einbrachten, mir aber selten, da ich unglücklicherweise in der Situation war, nicht viel Zeit und wenig Geld zu haben, um für meine Erfindungen zu werben und sie auf den Markt zu bringen".
     Als Handelsreisender war Gillette hingegen sehr erfolgreich. Ende der 1880er Jahre wurde er von Enoch Morgan nach London geschickt, um das in den USA marktbeherrschende Scheuerpulver Sapolio in England zu verkaufen. Der Werbestratege des Unternehmens, Artemas Ward, hatte den Markennamen Sapolio in den Vereinigten Staaten zu einem Synonym für das Produkt gemacht. Von ihm lernte Gillette, wie wichtig Werbung für den Absatz eines Unternehmens war. Später sollte der Name Gillette über viele Jahrzehnte ähnlich gleichbedeutend mit dem Einweg-Rasierer werden.
     Nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten 1889 heiratete Gillette die Tochter eines wohlhabenden Ölmagnaten und trat 1891 als Handelsvertreter für New York und Neu-England in die Baltimore Seal Company ein. Der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, William Painter, war ebenfalls Erfinder und hatte mit der Einführung des Kronenkorkens bereits ein Vermögen gemacht. Allein die jährlichen Lizenzeinnahmen betrugen 350.000 Dollar. Seinem Angestellten Gillette, der fortwährend nach einem einträglichen Erfindungsgegenstand suchte, gab er den Ratschlag: "Warum versuchst du dich nicht an einer Sache wie dem Kronkorken, der - einmal benutzt - weggeworfen wird, sodass der Kunde immer Nachschub braucht?"
     Gillette antwortete auf diese Empfehlung: "Es ist leicht, Ratschläge wie diese zu geben, aber wie viele Dinge sind wie Kronkorken, Reißzwecken und Nadeln?" Painter entgegnete: "Das weißt Du nicht. Es ist nicht wahrscheinlich, dass Du jemals etwas wie den Kronkorken finden wirst, aber es wird nichts schaden darüber nachzudenken." Gillette bekannte später, dass diese Worte Painters für ihn zu einer Obsession wurden.
   
2.Teil folgt

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2.Teil

Den Ursprung für Gillettes gesellschaftsutopische Vorstellungen erklärt Adams mit folgender Episode: "Es war ein trüber, stürmischer Morgen, und der Regen fiel in solchen Sturzbächen, dass selbst der gewissenhafte Gillette sich entschied zu Hause zu bleiben und seine Verkaufstour auszulassen. Während er am Fenster saß, bemerkte er das zunehmende Chaos aus Straßen- und Güterwagen sowie durchnässten Fußgängern, die durch einen fahruntüchtigen Lebensmittelwagen aufgehalten wurden. In schneller Abfolge stellte er sich all die Bestimmungsorte der Lebensmittel auf dem kaputten Wagen vor und verfolgte ihren Weg zurück zu ihrem Ursprung. [...]
     Bis zu diesem Moment [...] hatte er die Industrieanlagen und ihre diversen Produktionsverfahren rund um die Welt als separate Einheiten betrachtet. Nun aber, hervorgerufen durch den einfachen Gemüsewagen, [nachfolgend zitiert Adams Gillette, Anm. d. Autors], kam der Gedanke, der dazu bestimmt war, die Auffassung der Menschheit [vom Begriff der, Anm. d. Autors] Industrie zu ändern - DER GEDANKE -, dass die Industrie als Gesamtheit ein riesiger operativer Mechanismus ist. Darin einbegriffen sind die Regierungen aller Länder und unser gesamtes System einer sozialen, politischen und industriellen Wirtschaft.'"
     Gillette war ein eifriger Leser - vermutlich auch einiger sozialistischer Zeitschriften, die im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts größere Verbreitung gefunden hatten. Adams nimmt an, dass Gillette zudem besonders stark von dem 1893 erschienen utopischen Roman Looking Backward von Edward Bellamy beeinflusst wurde. In dieser Phantasiegeschichte wacht der Held im Jahr 2000 aus einem hypnotischen Schlaf auf. Die ihm bekannte Welt ist völlig verändert: Abgeschafft sind Kapitalismus, Konkurrenz und Kriege und mit diesen Armut, Verbrechen und jede Form von Ungerechtigkeit.
     Seinen ersten utopischen Band The Human Drift verfasste Gillette dann 1894 noch als Handelsreisender - das Werk war "der ganzen Menschheit gewidmet". Dieses Manifest verdammte das Konkurrenzprinzip und damit die Basis der amerikanischen Gesellschaft als die Quelle allen Übels. Gillettes Kernaussage war, dass Ungerechtigkeit, Armut und Kriminalität verschwänden, wenn die Gesellschaft ihre auf Habgier beruhende Wettbewerbsstruktur aufgeben würde. Dadurch entstünde eine Humanität, die keinen Rückfall in die vorherigen Verhältnisse zuließe. Gillette sprach sich zudem für ein gigantisches Großunternehmen aus, das über Aktienbeteiligung der US-Bevölkerung gehören und schließlich auch die gesamte Industrie der restlichen Welt übernehmen würde. Dieser Volksbesitz würde nach seiner Ansicht jede Konkurrenz so vollständig beseitigen, dass die Menschen sich - bis auf eine fünfjährige Arbeitsphase, in der sie motiviert für das Gemeinwohl arbeiteten - ganz ihrer Freizeitgestaltung, der Kultur und den Geisteswissenschaften widmen könnten.
      Für die Vereinigten Staaten hatte Gillette die Vision einer Mega-Stadt, in der mehr als 60 Millionen Menschen reihenweise übereinander in kreisförmig angeordneten Wohntürmen wohnen würden, die in der Mitte durch eine gewaltige Glaskuppel miteinander verbunden waren. Aus Effizienzgründen sollte diese futuristische Millionen-Metropole in der Nähe der Niagarafälle angelegt werden, um die gewaltige Wasserenergie zur Stromversorgung der großen Industrieanlagen nutzen zu können, die Gillette zum Unterhalt der riesigen population center vorsah.
     Howard P. Segal schreibt in Technological Utopianism in American Culture über Gillette: "Vielleicht das provozierendste Beispiel einer solchen Abgrenzung [zwischen seinen gesellschaftlichen Idealen und seiner unternehmerischen Praxis, Anm. d. Autors] ist jedoch Gillette", dem es demnach gelang "seine Geschäftskarriere und seinen konventionellen Glauben an das ,freie Unternehmertum' von seiner Laufbahn als Schriftsteller und seinen ungewöhnlichen Vorstellungen von einem Superstaat auf der Basis eines Superunternehmens völlig getrennt zu halten."
     Gillettes gesellschaftliche Visionen erschienen unter seinem eigenen Namen und seine Artikel in angesehenen Zeitschriften. Seine sozialen Ideale besprach er jedoch fast nie mit seinen Kollegen oder seiner Familie. Diese Diskussionen führte er nur in einem kleinen Kreis Gleichgesinnter. Zudem fanden seine Sozialutopien später keinerlei Eingang in seine - von diesem Ideal stark abweichende - unternehmerische Praxis. Segal schreibt zu dieser scheinbar ambivalenten Haltung: "Gillette als heuchlerisch zu bezeichnen oder ihm Schubladendenken zu unterstellen, wäre ungerecht, insbesondere, da er solche Widersprüche selbst nicht sah. Ihn ein kurioses Spannungsbündel zu nennen, wäre hingegen nicht unfair. Das gleiche kann man von den übrigen technologischen Utopisten sagen, deren Persönlichkeiten oder Ideensammlungen offensichtliche Widersprüche enthielten."
     An diesem Tag besorgte sich Gillette nach seinen eigen Angaben in einem Bostoner Eisenwarengeschäft sofort etwas Stahlband, einige Messingstücke, eine Feile und einen kleinen Schraubstock, "to work making a model of his brainchild". Seiner Frau, die gerade Verwandte in Ohio besuchte, schrieb er mit der größten Zuversicht: "I have got it; our fortune is made." Biograf Adams relativiert im folgenden Gillettes Stilisierung seiner Erfindung als quasi religiöses Erweckungserlebnis. Demnach informierte sich Gillette zunächst systematisch - wie die meisten erfolgreichen Erfinder - über die bereits auf dem Markt befindlichen Produkte.

3.Teil folgt

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3.Teil

    Das Hauptmerkmal seiner Erfindung bestand in der Verwendung einer so dünnen und damit günstig herstellbaren Rasierklinge, dass diese nach dem Stumpfwerden nicht mehr geschliffen, sondern nur noch durch eine neue ersetzt werden musste. Im Oktober 1895 hatte Gillette einen ersten Prototyp seines neuen Einwegrasieres fertiggestellt - noch weit entfernt von dem, was ihm vorschwebte. Ihm war es noch nicht gelungen, aus dem verwendeten Stahlblech eine so dünne Rasierklinge herzustellen, wie dies für die kostengünstige Massenproduktion eines Einwegartikels nötig war.
     Parallel zu den Bemühungen um ein marktfähiges Modell des Einwegrasierers verfolgte Gillette sein utopisches Gesellschaftsprojekt weiter. Das Magazin Twentieth Century, das Gillettes Zukunftsvisionen propagierte, hatte bereits im August 1895 gemeldet, der nominelle Vorstandsvorsitzende der Twentieth Century Company, King Champ Gillette, "was putting the finishing touches on the corporation´s prospectus". Damals - wie auch noch die nächsten sechs Jahre - investierte Gillette jedoch bereits mehr Zeit in die Lösung der technischen Probleme seiner Erfindung als in die konkrete Verwirklichung seiner Sozialutopie. "At the same time he kept the faith in his utopian vision", meint Biograf Adams.
     Im November reagierte er auf die Kritik seiner Anhänger, er setze sich nicht mehr nachdrücklich genug für sein großes Zukunftsprojekt ein. Gillette erklärte, "nicht aus einem Mangel an Mut, meine Überzeugungen zu unterstützen" geschwiegen zu haben, "sondern weil sich über die dargelegten Grundvorstellungen nicht streiten lässt. [...] Ich bin bereit zuzugeben, dass das Projekt einer zentralen Metropole dieser Generation voraus ist und aus diesem Grund durchschnittlichen Geistern nicht gefallen mag".
     Für seinen Biografen Adams war Gillette ein full-fledged utopian thinker, der nur wenig Geduld mit den Begrenzungen durchschnittlicher Geister hatte. Hier erkennt der Autor auch die Schnittstelle zwischen dem visionären Utopisten und dem Erfinder: "Successful inventors often share many of the same qualities, seeing things from a different perspective than most people - those of average minds - and refusing to listen to arguments against their ideas. As both utopian and inventor, Gillette was blessed with two sources of the single-minded drive that would move him in the years to come (...)."
     Gillette brauchte diesen starken Glauben an den endgültigen Erfolg seiner Erfindung und an die Realisierung seiner Utopien: Nicht nur war sein erstes Modell ein völliger Misserfolg gewesen, sondern auch die Öffentlichkeit begegnete dem revolutionären Konzept eines Einwegrasierers mit unverhohlenem Hohn. Freunde lachten, wenn sie Gillette auf der Straße sahen, und fragten gewöhnlich: "Well, Gillette, how´s the razor?" Nach allgemeiner Auffassung war ein Rasiermesser ein wertvolles Produkt und sollte - regelmäßiges Abziehen und Schleifen vorausgesetzt - eine Anschaffung fürs Leben sein.
     Alle Fachleute (Messerschmiede, Metallurgen und auch Wissenschaftler vom MIT, dem Massachusetts Institute of Technology), die Gillette in New York und Boston konsultierte, hielten es für technisch unmöglich, eine so dünne Rasierklinge aus billigem Stahl herzustellen, die scharf genug für eine gründliche Rasur und so preiswert wäre, um sie nach ein paar Anwendungen entsorgen zu können. Später gab Gillette zu, dass nur "glückliches Unwissen" ihn in die Lage versetzte, sein Vorhaben zu Ende zu führen: "If I had been technically trained I would have quit or probably never would have begun."
     Nachdem er sich erstmals erfolgreich mit dem neuen Gerät rasiert hatte, beantragte Gillette am 1. August 1899 sein erstes Patent für die Erfindung, die er als "neu in der Art der Rasiererherstellung und seines Gebrauchs" beschrieb. Um seine Innovation jedoch auch erfolgreich vermarkten zu können, musste er ein Unternehmen aufbauen bzw. Investoren finden. Dies gestaltete sich jedoch äußerst schwierig, da potentielle Geldgeber auch nach seiner Patentanmeldung noch keineswegs überzeugt davon waren, dass er ein verkäufliches Produkt entwickelt hatte.
     Gillette versuchte nun Unterstützung in der eigenen Familie zu finden, doch sein Vater und seine beiden älteren Brüder, die mittlerweile die Gillette Clipping Machine Company zur Herstellung von elektrischen Scheren für die Pferdepflege gegründet hatten, waren in Bezug auf die Vermarktungsfähigkeit seiner Erfindung nicht weniger skeptisch. Das Hauptproblem lag besonders in der noch völlig ungeklärten Massenfertigung von Rasierklingen, für die Gillette zu wenig fachliche Kompetenz hatte.
     Er suchte deshalb nach einem Partner, der ihm bei der Entwicklung industriell herstellbarer Rasierklingen helfen konnte. Er fand ihn schließlich in William Nickerson, einem am MIT ausgebildeten, promovierten Chemiker, der zunächst in der Gerbindustrie gearbeitet und sich dann mit Verbesserungen der Sicherheitstechnologie von Aufzügen befasst hatte, wofür er sieben Patente erhielt. Außerdem war es ihm gelungen, ein Glühlampenherstellungsverfahren zu entwickeln, das von Edison für unmöglich erklärt worden war. Nickerson konnte diese Erfindung jedoch nicht vermarkten, weil ein Bostoner Gericht in seiner Luftpumpentechnologie zur Erzeugung eines Vakuums eine Verletzung von Edisons Patenten sah.
     Nickersons Geschäftspartner, Henry Sachs, machte ihn mit Gillettes Rasierer bekannt, für den sich Nickerson jedoch zunächst wenig interessierte, da er schon das Projekt einer automatischen Waage verfolgte, für deren Produktion bereits eine Firma gegründet worden war. Da Nickerson den Kapitalgebern des neuen Unternehmens in Finanzfragen jedoch nicht gewachsen war, entglitt ihm schon bald jede Kontrolle über das Geschäft und er wandte sich wieder dem Gillettes Erfindung zu. Nun war er von dessen Möglichkeiten überzeugt: "Ich bin davon überzeugt, dass auf der Grundlage der Prinzipien des Gillette-Patents nicht nur ein erfolgreicher Rasierer hergestellt werden kann, sondern dass, wenn die Rasierklingen durch die richtigen Methoden hergestellt werden, ein Ergebnis erzielt werden kann, das alles bisher bekannte übertrifft." 

4.Teil folgt
             

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4.Teil

Es gelang Nickerson schließlich, die gewünschten dünnen Rasierklingen herzustellen. Am 28. September 1901 wurde die American Safety Razor Company in Boston als Aktiengesellschaft mit einem Kapital von 500.000 Dollar gegründet, das sich auf 50.000 Aktien à 10 Dollar verteilte. Gillette erhielt 17.500 Aktien, 12.500 Anteilsscheine wurden unter Nickerson, Sachs, dem Lampenhersteller Heilborn und Edward Stewart, einem gemeinsamen Freund, verteilt. Zusätzlich waren 20.000 Aktien in Pakete von jeweils 500 Aktien aufgeteilt worden, deren Preis auf 250 Dollar pro Paket herabgesetzt wurde. Diese Aktienpakete mussten an Investoren verkauft werden. 
     Nickerson hatte sich dagegen ausgesprochen, die Firma nach dem Erfinder des Einwegrasierers, Gillette, zu benennen. Er hielt seinen Beitrag für das Produkt jedoch für mindestens ebenso wichtig wie die Erfindung selbst, und verwies darauf, dass zwischen "der Erfindung des Gillette-Rasierers [...] und ihrer praktischen Entwicklung, die von anderen [im Wesentlichen Nickerson selbst, Anm. d. Autors] vorangetrieben wurde", genau zu unterscheiden sei. Wegen einer möglichen Assoziation von Nickerson mit dem englischen Wort nick für Einschnitt war sein eigener Name als Alternative jedoch nicht in Betracht gekommen.
     King Champ Gillette wurde zum ersten Vorstandsvorsitzenden berufen, bekam für diese Funktion allerdings kein festes Gehalt und musste deshalb gleichzeitig weiter als Vollzeit-Handelsreisender für Kronenkorken arbeiten. Die junge Firma geriet bald in ernste finanzielle Schwierigkeiten. Zur Rettung des Unternehmens befürwortete Nickerson merkwürdigerweise ausgerechnet ein Angebot jener früheren New Yorker Geschäftspartner, die ihn bereits zuvor im Unternehmen zur Herstellung elektrischer Waagen aus der Geschäftsleitung gedrängt hatten und nun 150.000 Dollar für die Mehrheit des Aktienkapitals in die notleidende Rasierer-Firma stecken wollten. Sein Plan wurde jedoch eindeutig von Gillette und der übrigen Unternehmensführung abgewiesen.
     Gillette suchte nun seinerseits finanzielle Unterstützung bei John Joyce, einem in der Bierbranche und mit Investitionen im Elektrogerätegeschäft reich gewordenen irischen Immigranten, den er bereits seit seiner Anfangszeit als Handelsreisender für Flaschenverschlüsse kannte. Da Joyce bereits einmal 20.000 Dollar als Investor in einer Firma verloren hatte, die ihm von Gillette empfohlen worden war, versuchte Joyce nun einen ähnlichen Verlust dadurch zu vermeiden, indem er nach und nach die Aktienmehrheit des mittlerweile in Gillette Safety Razor Company umbenannten Unternehmens erwarb. Gillette verkaufte Joyce einen Großteil seines eigenen Aktienpaketes, wodurch er zum Minderheiten-Anteilseigner an seiner Erfindung wurde.
     Nachdem Joyce Gillette mit einer ersten Zahlung von 9.500 Dollar wieder liquide gemacht hatte, konnten mit der von Nickerson entwickelten Schleifmaschine die ersten Rasierer und Rasierklingen produziert werden. Joyce wollte die Produktion rasch steigern und ermöglichte durch eine weitere Einlage von 8.500 Dollar die Inbetriebnahme einer zweiten Schleifmaschine. Die ersten Gillette-Rasierer kamen 1903 auf den Markt: Ein Rasierer mit einem Scherblatt kostete 5 Dollar, 20 Ersatzscherblätter - jedes in einem eleganten Papier mit Gillettes Konterfei darauf - kosteten 1 Dollar. Mit den Worten "Wir bieten einen neuen Rasierer an", kündigte die Firma ihren Auftritt auf dem Sicherheitsrasierermarkt in einer großen Anzeige an.
     Dies war keine geringe Ironie, da einer der Leitsätze von Gillettes utopischer Vision gewesen war, dass die künftige Gesellschaft werbefrei sein würde. Einige Anzeigen-Slogans für Gillette wiesen jedoch rhetorische Anklänge an die Idee einer Weltfirma auf, die Gillette in Human Drift propagiert hatte. So hieß es etwa: "Like a triumphant army onward, marches the Gillette Safety Razor to Success" und "The Gillette Safety Razor is one of the greatest mechanical inventions of the 20th century. It was a necessity and now a success". Gillette blieb seinem utopischen Gesellschaftsprojekt lebenslänglich verbunden und veröffentlichte etwa 1906 den Beitrag World Corporation im National Magazine.
     Der Anwalt und Vize-Präsident der Gillette-Verkaufsabteilung, Thomas W. Pelham, erklärte die Strategie des Unternehmens folgendermaßen: "Unsere Art der Werbung bestand darin, den Konsumenten dazu zu bringen, vom Händler die Versorgung mit dem Artikel zu verlangen. Unsere Werbung forderte den Kunden auch dazu auf, uns zu schreiben, wenn er den Rasierer nicht über seinen Händler erhalten konnte. In diesem Fall würden wir diese Nachfrage dann direkt beliefern." Die Firma verkaufte im ersten Jahr nur 51 Rasierer und 168 Rasierklingen, aber die Aussichten waren gut, da das Interesse an Gillettes Erfindung sich schnell vergrößerte.
     Ganz wesentlich für die verbesserte Perspektive des Unternehmens und seine Attraktivität bei potenziellen Geldgebern war die Erteilung des US-Patentes für den Gillette-Sicherheitsrasierer am 15. November 1904. Dadurch bekam die Geschäftsleitung siebzehn Jahre Zeit, die Produktion ohne maßgebliche Konkurrenz auszuweiten und sich über den massiven Einsatz von Werbung zunächst national und dann auch international im öffentlichen Bewusstsein als Inbegriff des Einwegrasierers zu etablieren.
     Gillette selbst befand sich jedoch zu diesem Zeitpunkt in der misslichen Lage, weiterhin für seinen alten Arbeitgeber Kronenkorken verkaufen zu müssen, um die Existenz seiner Familie zu sichern. Crown Cork & Seal erwartete von ihm einen Wechsel nach London, der Gillette zu dieser Zeit äußerst ungelegen kam: "I did not wish to go and urged the Company to make a salaried position for me, so I might devote my time to the razor." Aber Joyce, der die Firma durch seine Investitionen vor dem Zusammenbruch bewahrt hatte, verweigerte ihm die Erfüllung dieses Wunsches, den er als zu kostspielig ablehnte.

5.Teil folgt
     

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5.Teil

Gillette war verbittert: "I was president of the company, but those in control refused to meet my wishes, giving as a reason the need of every dollar for development of the business." Bevor er mit seiner Familie in Richtung London abfuhr, trat Gillette während der Vorstandssitzung am 9. Januar 1904 vom Posten des Vorstandsvorsitzenden zurück. Joyce setzte durch, die Anzahl der Ersatzscherklingen eines Päckchens - bei unverändertem Preis - von 20 auf 12 zu reduzieren und so den Gewinn um 40 % zu steigern. Im gleichen Jahr stellten sich erste Verkaufserfolge ein, das Unternehmen konnte 90.000 Rasierer und 10.000 Ersatzklingen-Päckchen absetzen. Die Ausweitung der Produktion machte neue Investitionen und eine Aufstockung des Stammkapitals erforderlich.
     Großaktionär Joyce schlug den Verkauf der internationalen Rechte am Gillette-Rasierer-System für 100.000 Dollar an eine Investorengruppe aus Chicago vor, der von allen Vorstandsmitgliedern gebilligt werden musste. Als Gillette dies in London erfuhr, kehrte er sofort nach Boston zurück, um die geplante Lizenzierung zu verhindern. Mit seinem entschiedenen Veto sicherte er dem damaligen Mittelstandsunternehmen die Expansionsmöglichkeiten zu einem Weltkonzern, die es nach Ansicht McKibbens durch den Verkauf seiner Auslandsrechte eingebüßt hätte: "King C. Gillettes rechtzeitig unternommene Reise, um den Lizenzvergabe-Plan noch abzuwenden, ist neben seiner Erfindung wahrscheinlich der wichtigste Einzelbeitrag für die Firma gewesen."
     Gillette drohte damit, die Firma, die seinen Namen trug, zu verlassen, falls er nicht wieder zum Vorstandsvorsitzenden ernannt werden würde. Joyce gewährte ihm dies, um die Situation nicht eskalieren zu lassen. Als Großaktionär kontrollierte Joyce jedoch weiterhin das Schicksal des Unternehmens. Nach der Entscheidung, keine Auslandslizenzen zu vergeben, waren sich Joyce und Gillette zunächst darüber einig, dass nun der Aufbau von Produktionsstätten im Ausland vorrangiges Ziel sein musste. Das erste Verkaufsbüro in England wurde 1905 in London eröffnet. Im gleichen Jahr nahm ein Rasierklingen-Werk in Paris die Produktion auf, 1906 folgte Kanada als weiteres Herstellungsland. Die Vertriebszentrale für den europäischen Markt wurde in Deutschland aufgebaut.      Über die anschließende Zuspitzung des Machtkampfes zwischen dem Erfinder und dem Geldgeber schreibt McKibben: "Back in Boston, the clash of egos between King C. Gillette and John J. Joyce became intolerable." Die Streitigkeiten um den richtigen Firmenkurs nahmen kein Ende, sodass es 1910 zu einer Entscheidung kam: Gillette trat fast seinen gesamten Aktienanteil an Joyce ab und erhielt dafür ungefähr eine Million Dollar. Er zog nach Kalifornien, baute Orangen und Datteln an und widmete sich fortan verstärkt seinen Sozialutopien. Er behielt den Ehrentitel des Vorstandsvorsitzenden bis kurz vor seinem Tod 1932 und informierte sich weiterhin intensiv über den Stand der Firmenentwicklung.

Quelle: http://www.heinrich-beck-institut.de/hb-scientific/king.html

Ende

kimeter

1910 hat Herr Gillette fast sein ganzes Aktienpaket abgestossen. 1917, als die USA in den Krieg eingriffen, bestellte die Regierung  3,5 Millionen Apparate und 36 Millionen Klingen.   :o  :o :o 
Na ja, ein paar Aktien wird er wohl noch behalten haben...  ;D

Jambo

Dankeschön kimeter für die hier geposteten Infos! Manches wußte man evtl gar nicht, war aber zu faul es auch rauszusuchen!
Gruß Michael
 

Die Nassrasur ist eine Leidenschaft, die Freuden wie auch Leiden schafft! :D

Honka

Zitat von: kimeter am 21. August 2008, 00:34:28
[widmete sich fortan verstärkt seinen Sozialutopien.

Weiß irgendjemand, was genau er gemacht hat?